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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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keiner mehr. Ich ließ mir vom Hotelportier die Privatnummer der Prinzipalin geben, wählte, hörte die Prinzipalin so böse und hart ihren Namen sagen, dass ich auflegte.
    Einige Tage lang beschaffte ich mir auf Bahnhöfen Zeitungen aus dieser Region, bis ich endlich die erwartete Meldung las, das mit großem Aufwand vorbereitete
Klassikerprojekt
des weit über die Region hinaus bekannten
Theaters im Ort
sei wegen technischer Schwierigkeiten auf unbestimmte Zeit verschoben.
    Ich habe mir des Öfteren vorgenommen, in diesem Kulturamt anzurufen, die Prinzipalin zu erreichen und sie zu fragen, wie es jetzt so liefe, beruflich und privat. Bis jetzt habe ich es immer wieder verschoben. Sollte ich allerdings einmal dazu kommen, über das
Gefährliche an der Kunst
genauer nachzudenken, habe ich sicher einige Fragen.

Die erste Probe
    Der Regisseur wusste sofort, hinter diesem Angebot mussten außerordentliche, ja unglückliche Umstände stehen, sonst hätte es ihn nicht erreicht. Denn der
Altmeister der Kleinkunst
hatte sein Leben lang denselben Regisseur gehabt, seinen langjährigen Lebensgefährten, die beiden waren künstlerisch und privat ein Paar, ein Paar ohne Affären, außerhalb schlüpfriger Spekulationen.
    Sie hatten bald nach dem Krieg ein kleines Theater gegründet, zunächst beide noch auf der Bühne gearbeitet, dann aber wurde der eine zum Direktor, zum Manager, zum Mentor, zum Regisseur, und der andere zum Meister. Erst noch als Primus inter pares im Ensemble, dann nur mehr mit Nebenfiguren dekoriert, schließlich – seit die Phase des »Altmeisters« begonnen hatte – als Solist.
    Und jetzt plötzlich die Anfrage an einen Dritten, beim neuen Programm des Altmeisters Regie zu führen?
    »Bitte behandeln Sie die Information diskret«, sagte die Dame am Telefon, »aber schwerste Herz-Kreislauf-Attacken beim Direktor haben den Arzt veranlasst, totales Arbeitsverbot zu verhängen. Jetzt haben die Herren beraten, wer denn als Regisseur unserer neuen Produktion in Frage käme, und sie waren sich völlig einig, das können nur Sie sein. Ich soll Ihnen von den Herren übermitteln, sie wären sehr glücklich und sehr beruhigt, wenn wir Sie gewinnen könnten.« Die Dame, die den beiden Herren als Disponentin und Verwalterin zur Verfügung stand, sprach in jenem unimitierbar vornehmen Tonfall, den sich Damen als Mitarbeiterinnen von männlichen Paaren anzueignen pflegen.
    Bevor der Regisseur sich noch nach den näheren Eigenarten des zu erarbeitenden neuen Programms erkundigte, ging er seinen Terminkalender durch, fand dort nur ein nicht übermäßig interessantes und zudem noch nicht ganz fixiertes Angebot und äußerte daher sein grundsätzliches Interesse.
    Worauf die vornehme Dame beteuerte, das würde die
Herren
in das höchste Entzücken versetzen, die Herren, die sich angesichts der Notsituation auch bewusst seien, mit der Gage besonders
großzügig
sein zu sollen.
    So wurden also Gage und Termine – vorbehaltlich der letzten Stellungnahme des Regisseurs nach Erhalt des Buches – abgesprochen.
    Wie sind die
Herren
– der Regisseur eignete sich den Sprachgebrauch der vornehmen Dame in Gedanken an – auf mich gekommen?, fragte er sich.
    Die Antwort fiel ihm nicht schwer. Der Regisseur hatte zum einen schon mit einigen Produktionen, die stilistisch in der Nähe der literarischen Revue lagen, Erfolge gehabt, hatte sich zum anderen – immer aus echtem Interesse – des Öfteren Produktionen des Altmeisters und seines Direktors angesehen und nie versäumt, Anerkennung und Bewunderung auszusprechen. Das hatte bei den beiden Herren seinen Ruf als Könner natürlich gefestigt.
    Das Buch, das mit der Eilpost eintraf, bestätigte, was die vornehme Dame schon am Telefon angedeutet hatte. Es handelte sich um ein sehr schwieriges, schönes Projekt, eine Collage aus Texten eines in seiner Bedeutung eben erst wiederentdeckten Dichters der späten Romantik mit zeitgenössischen Kommentaren und satirischen Erhellungen, von einem Mann gesprochen, gesungen, gespielt.
    Schwer und reizvoll, dachte der Regisseur, aber der Altmeister kann das, und dazu fällt mir auch was ein, da bin ich sicher, ich habe natürlich keinen leichten Stand, wenn der Direktor seinen Altmeister erstmals in fremde Hände legen muss, aber ich werde das schon schaffen, ich schaff das.
    Der Regisseur ging zu seiner Bücherwand, suchte ein Buch, in dem er lichtvolle Kommentare zu dem im Zentrum des Projektes stehenden Dichter zu finden hoffte, konnte sich
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