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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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Malers und erzählte, den Mann hätte keine Sau gekannt, bis er ihn vor einem Jahr im Foyer des Theaters groß herausgebracht hätte, und jetzt gäbe es schon Ausstellungsangebote da und dort. Seine Absichtserklärungen, die bildende Kunst viel stärker in das Kulturprogramm einzubinden, wurden unterbrochen durch den Auftritt der Prinzipalin, die mit im Rohr erhitztem, industriell vorgefertigtem Schinkengebäck kam und bedauerte, wegen des Tennisstresses für ihre berühmten Brötchen diesmal keine Zeit gehabt zu haben. An der Qualität der Getränke hatte sich nichts geändert.
    Den Kulturpolitiker hätte ich beinahe nicht wiedererkannt. Er hatte sich einen Schnurrbart stehen lassen und trug eine schwarze Lederweste.
    Das
Theater im Ort
habe sich sehr gut entwickelt, berichtete er und nannte Auslastungszahlen, Einzugsgebiete und Budget-Eckdaten.
    Das Problem bliebe, und damit sei seine Verantwortlichkeit sehr gefordert, einerseits, das Erreichte zu bewahren und finanziell zu stabilisieren, andererseits aber die künstlerische Weiterentwicklung zu ermöglichen, vor allem dem beachtlichen eigenen Ensemble die finanzielle und organisatorische Basis zu verbessern.
    Höflich fragte ich, was denn das eigene Ensemble programmatisch vorhätte, hatte aber überhaupt kein Interesse daran, es wirklich zu erfahren, viel zu wenig war – nach meinem Geschmack – über unsere Gastspieldarbietung am heutigen Abend gesprochen worden.
    Ziemlich unvermittelt drängte mich der Prinzipal vom Gespräch mit dem Kulturpolitiker ab und zog mich in eine Eckgarnitur. »Der Kerl hat sich als Totalschwein entpuppt«, sagte er mir.
    »Wegen einer geringfügigen Kostenüberschreitung beim Bau des Probenraumes wäre mir der beinahe umgefallen, wollte plötzlich den Umfang unseres Umbaus nicht mehr gekannt haben. Ich sage dir, man hat nichts wie Ärger mit dem Scheißgeld. Und es macht mich total wahnsinnig, mich immer mit diesem Schwein arrangieren zu müssen. Außerdem« – der Prinzipal kam etwas näher – »ist dieser Arsch hinter meiner Frau her, aber ich kann ihm leider keine knallen, und sie ihm auch nicht, verstehst du, da steht ein bisschen zu viel auf dem Spiel, ich will ja mit meinem Ensemble im kommenden Jahr auf ein paar Festivals.«
    Und er führte aus, mit welchen Projekten er wohin wolle und welche Unterstützung er dafür beanspruche. Dass sein
Theater im Ort
im Ort gut lief, das war ihm nicht mehr Bestätigung genug, mehrfach gebrauchte er das besonders verdächtige Wort
überregional
.
    Ich suchte in der Folge die Nähe der Prinzipalin. Sie war leicht gekränkt, weil ich die ewige Jammerei ihres Alten offenbar für interessanter hielt als einen Versuch, den vor zwei Jahren unterbrochenen Flirt mit ihr fortzusetzen.
    Kaum hatte ich damit begonnen, war der Prinzipal schon wieder da und fragte, was ich von einem Festival
Theater der Landschaften
hielte, ein Treffen von Theatergruppen, deren Produktionen regionale Themen behandelten.
    Ich meinte, das Behandeln regionaler Themen sei etwas Sinnvolles, aber man müsse doch nicht unbedingt gleich wieder ein Festival draus machen. Und dann fragte ich, warum er mit seinem Ensemble denn auf Tournee sei und nicht hier, in seinem
Theater im Ort
spiele.
    »Wenn ihr schon eine eigene Produktion habt, dann könnt ihr euch – jedenfalls für eine Zeit – Gastspiele sparen«, sagte ich.
    Das brachte den Prinzipal zum Rasen, und er bezog den Rest der Gesellschaft – der Politiker war schon gegangen – in seine Beschimpfungen ein. Alle müssten bestätigen, brüllte er, diese
Idioten
und
Provinzler
wollten nur das Fremde, das, was von draußen kommt, sehen. Seine tolle Produktion, über die überregional
Hymnen
geschrieben worden wären, hätten sie nicht besucht.
    »Aber«, gab er mir noch im Morgengrauen auf den Weg mit, »ich werde nicht nachgeben, bis ich mein Ziel erreicht habe.«
    Ich wollte fragen, was es denn für ein Ziel sei, sagte aber nichts als: »Und nur so geht es!«
    Als ich im Hotel, noch leicht verglast, beim Frühstück saß, kam die Prinzipalin. Ich schluckte hastig meinen Kaffee hinunter und bat sie, mit mir vor dem auf dem Berg gelegenen Hotel auf und ab zu gehen. Die Sonne wärmte nicht, leuchtete das leicht vernebelte Herbstpanorama aber wunderschön aus. Es war unmöglich, diesen Anblick mit dem Abend davor, den Gesprächen, den Problemen in irgendeine Verbindung zu bringen. Ich wollte sie eine Menge fragen, kam aber nicht dazu, denn ihr Erklärungsbedarf war
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