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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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gewaltig.
    »Er ist nicht immer so wie gestern«, sagte sie. »Du sollst keinen falschen Eindruck haben. Gestern ist eben viel zusammengekommen. Heute hat er schon früh in die Stadt fahren müssen, um vor der Sitzung des Kulturausschusses mit dem Kulturpolitiker noch etwas zu besprechen. Er lässt euch herzlich grüßen und freut sich aufs nächste Mal.«
    Sie sah mir an, dass ich dieses
nächste Mal
für nicht allzu zwingend hielt.
    »Es wird alles wieder so, wie es war«, versprach sie. »Er muss sich jetzt nur austoben, das ist wie ein Fieber, das kennst du doch sicher, er will jetzt den großen Erfolg, dadurch hab ich die ganze Organisation am Hals, was natürlich Wahnsinn ist, neben den Kindern, aber irgendwie ist alles zu schaffen, irgendwie wird es sich einspielen, muss ja.«
    Die Frau, von der ich mich verabschiedete, war nicht mehr die strahlende, glückliche Person, die vor zwei Jahren begonnen hatte, etwas zu leisten, was man schrecklicherweise
Kulturarbeit
nennt.
    Drei Jahre sollten vergehen, bis wir das
Theater im Ort
und seine Menschen wiedersahen.
    Der Agent berichtete, man würde uns wieder nehmen, er ersuchte uns lediglich, nicht böse zu sein, man wolle uns – aus optischen Gründen – dieses Mal im
Kleinen Haus
veranstalten.
    Ich hatte während der drei Jahre einige Male über den Prinzipal gelesen. Er war mit dem
Theater im Ort
immer wieder aufgefallen, allerdings mit den sperrigsten Stücken der Gegenwartsliteratur. Ob die Kritiker die Vorstellungen verrissen, ob sie sie lobten, eines war aus ihren Berichten klar herauszuhören: Der Prinzipal hatte den Ehrgeiz, mit jeder seiner Produktionen die der restlichen Theaternation nicht nur übertrumpfen, sondern auch widerlegen zu wollen. Einmal gab’s eine Glosse über einen Regisseur zu lesen – es war der Prinzipal, der nach einer knappen Abstimmungsniederlage beim Juryentscheid eines Festivals die Juroren als
bestochene Tunten
beschimpft und sie mit Aschenbechern beworfen hatte.
    Eines Abends, ich ging in der Stadt unseres Stammhauses zur allabendlichen Vorstellung, kam mir die Prinzipalin entgegen, Arm in Arm mit einem Mann, dessen Gesicht im Schatten eines enormen Schlapphutes erst spät als das des Kulturpolitikers zu erkennen war. Sie bedauerte sprudelnd, wohl leicht alkoholisiert,
gar keine Zeit
zu haben, da ihr Begleiter und sie sich heute eine angeblich sehr gute neue Produktion anschauen und auf die Eignung für ein längeres Gastspiel im
Theater im Ort
prüfen müssten, wo es drunter und drüber ginge, aber im Grunde prächtig liefe, wenngleich der Prinzipal zur Zeit nicht auszuhalten sei, weil der ältere Sohn sich neuerdings standhaft weigere, weiterhin Tennis zu spielen.
    »Bei euch soll es ja ganz toll sein, und wir sehen uns bald«, sagte sie so konventionell und leer, dass es wehtat.
    Der Kulturpolitiker hatte zum Glück mit dem Heranwinken eines Taxis Erfolg gehabt.
    Unser drittes und letztes Gastspiel im
Theater im Ort
war nicht mehr schön. Aber komisch, daher berichtenswert. Dass es komisch war, verwende ich als Ausrede, um davon zu berichten. Denn in Wahrheit erzähle ich davon, weil die Geschichte dieses Gastspiels ein Gesetz bestätigt, das mit Gesetzen der Ökonomie, der Physik und der Psychologie korrespondiert und das ich – gänzlich unwissenschaftlich – für mich schlicht als
Das Gefährliche an der Kunst
betitelt habe. Es handelt sich um die tödliche Wachstumsspirale auch im Kulturbetrieb, über das Müllproblem der Karrieren.
    Einige Tage nach unserem Gastspiel sollte das hauseigene Ensemble Premiere mit seinem großen
Klassikerprojekt
haben. Die Inszenierung war als Freiluftspektakel geplant, das alte Fabrikgelände mit Stahlrohrgerüsten verstellt, die teils als Sitzplätze für Zuschauer gedacht waren, teils als Spielflächen genutzt werden sollten. Plakate, die unseres oder andere Gastspiele ankündigten, waren in dieser Szenerie nicht mehr wahrzunehmen.
    Es war später Frühling, ein sehr heißer Tag. Schwitzende Menschen mit diesem speziellen Roadie-Outfit zerrten Scheinwerfer in andere Positionen, gelegentlich vom Prinzipal angebrüllt, der dann immer zu mir, der staunend dastand, kam und erzählte, er hätte es nur mehr mit
Kretins
zu tun. Dann erklärte er mir, er sei bei den letzten Proben draufgekommen, noch einen Bühnenkeil in den linken Zuschauersektor treiben zu müssen. Dann würde die Vorstellung der
reine Wahnsinn
werden und die den gesamten Sprachraum beherrschenden Kulturtrottel endgültig
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