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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
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Prolog
     
    Und so habe ich Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber kennen gelernt, den arrogantesten Affen im Anzug.
    »Wie lange ist das mit dem Toten im Schlachthof jetzt her? Sieben Jahre?«
    »Nein, acht«, antwortet er und blickt mich mit seinen asymmetrischen Augen unbehaglich an.
    Es hat sich vieles verändert seitdem. Ich arbeite nicht mehr für den Stuttgarter Anzeiger. Wir bezahlen nicht mehr mit D-Mark. Ein neues Jahrhundert ist angebrochen. Und wir ha ben unsere Naivität verloren.
    Aber in der Bäckerschmide von Gaisburg wird immer noch wie vor hundertfünfzig Jahren – oder wieder – der Gaisburger Marsch serviert. Richard und ich sitzen im Lokal vor einer Terrine und löffeln aus unseren Tellern Rinderbrühe mit Ochsenfleisch, Kartoffelschnitzen, handgeschabten Spätzle und geschmälzten Zwiebeln. »Gemüse gehört da eigentlich nicht rein«, erklärt er mir und erzählt, dass einst noch vor dem Ers ten Weltkrieg die Offiziersanwärter aus der Bergkaserne ihrem Kantinenessen davonmarschierten, hinüber nach Gaisburg, um in der Bäckerschmide »Kartoffelschnitz ond Spatza« zu essen.
    »Daher der Name, falls die Legende stimmt«, bemerkt er, immer stirnrunzelig allem Unbewiesenen gegenüber. Nur in Fakten fühlt er sich sicher. »In den Gründerjahren«, erläutert er mir über die Terrine hinweg, »wurde aus dem Wengerter dorf Gaisburg im Osten von Stuttgart eine rote Arbeitervorstadt. Das Gaswerk kam hierher, der Schlachthof wurde errichtet, die Fettschmelze, die Tierhäuteverwertung. 1901 wurde Gaisburg dann von Stuttgart eingemeindet, denn die Residenzstadt suchte einen Zugang zum Neckar. Und hier oben auf dem Berg, der Brandwache, wurde die evangelische Jugendstilkir che gebaut, übrigens von Martin Elsässer, der auch die Stuttgarter Markthalle erbaut hat.«
    »Ah so.«
    Der alte Schlachthof ist ja nun auch schon seit über fünfzehn Jahren geschlossen, die meisten Gebäude sind verschwunden, neue Hallen stehen. Inzwischen erhebt sich in der Kulisse von Gaskessel, Stadtautobahn und Daimlerstadion auch schon die Museumsspirale der Mercedes-Benz-Welt.
    »Ich bin ja damals in den Schlachthof auch nur zum Probetraining gegangen, weil Sally es unbedingt wollte«, erinnere ich mich.

1
     
    »Du musst mir einen Gefallen tun, Lisa!« Sally stellte drei Weizen, zwei Pils und zwei Viertele Lemberger mit Trollin ger aufs Tablett und kam hinter dem Tresen vor. »Du hast doch sicher schon vom Schlachthof gehört?« Sie nahm das Tablett und zog in den Gastraum ab. »Dieses neue Fitnesscenter, meine ich«, sagte sie, als sie wiederkam.
    »Du gehst doch nicht etwa dahin, Sally? Du bist verrückt.«
    Sie puffte ihre blonden Locken auf. »Irgendwann muss man doch mal anfangen, was für die Fitness zu tun!«
    »Du doch nicht! Du stemmst jeden Abend deine flüssigen Gewichte, rennst täglich mehrmals achtzig Stufen rauf und runter und gehst mit deiner Senta spazieren. Mehr muss nicht sein.«
    Außerdem ochste Sally in drei Jobs, als Kellnerin im Tau ben Spitz, bei einem Kinderarzt als Sprechstundenhilfe und als Sekretärin beim Rundfunk, nur um ihren Zoo mit drei Katzen und einem Hund über die Runden zu bringen und sich selbst den kleinen Luxus von Massage und Maniküre zu gönnen. Leider hatte Sally ein unlösbares Problem: Sie schämte sich ihrer Rundungen.
    »Ausgerechnet der Schlachthof!«, stöhnte ich.
    Sally zapfte Bier, dass es schäumte. »Du gehst doch auch sporteln!«
    »Aber nicht in einem glitzernden Abschreibungsobjekt, das sich Fitnesscenter nennt, sondern in einer Sportschule mit Schweißgeruch.«
    Sally rümpfte die Nase, spülte das Glas kalt aus, schrägte es und begann, ein Weizen einzufüllen. »Trotzdem!« Ihre blauen Augen trotzten in den Winkeln. »Die Aerobickurse von Anette, die hams echt gebracht! Bei mir zumindest. Und auf einmal kippt sie um, und drei Tage später ist sie tot.«
    »Sport ist Mord.«
    Sally konnte nicht mal genervt grinsen. Zwischen tropfen den Bierhähnen und spritzendem Spülwasser rückte sie mit der Story heraus. Sie hatte Anette hier im Tauben Spitz kennen gelernt. Dünn wie ein Strich, aber Kässpätzle spachtelnd. Beim Nachschlag machte Sally einen neidischen Kommentar und bekam von Anette einen Gutschein für eine Aerobicstun de in dem nagelneuen Fitnesscenter Schlachthof. Gierig auf ein Wunder, hüllte sie sich in weite T-Shirts und begab sich aufs Parkett.
    »Ist das normal, dass eine junge Frau einfach umkippt, und buff ist sie tot. Anette war topfit.«
    »Eine
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