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Kardinalspoker

Kardinalspoker

Titel: Kardinalspoker
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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1.
     
    Der Alte, den er so nannte, obwohl dieser diese Bezeichnung überhaupt
nicht mochte, der Alte würde mit ihm zufrieden sein. Ihr gemeinsam ausgeheckter
Plan hatte reibungslos funktioniert. Der Plan B konnte für ein anderes Mal aufgespart
werden. Andererseits: War es wirklich nötig gewesen, den Kerl zu töten? Verdient
hatte der Typ den Tod zweifelsohne. Aber war es richtig gewesen, ihm die Kerze auszublasen?
Doch jetzt war es zu spät. Er hatte den Wunsch des Alten erfüllt und jetzt konnte
er darauf vertrauen, dass ihn der Alte schützen würde. Immerhin hatte er nichts
anderes getan, als das, was er tun musste.
     
    Er hatte richtig kalkuliert. Ihr Wagen war einer der ersten, die auf
den Parkplatz direkt am neuen Tivoli eingewiesen wurden. Zügig fuhr er zur entferntesten
Stelle des weitläufigen Geländes, bis kurz vor die Böschung am hinteren Ende. Der
Parkwächter hatte nur kurz genickt, als er ihnen die fünf Euro Parkgebühren abknöpfte.
Vier Männer in Trikots des 1 . FC Köln, die es offenbar gar nicht erwarten
konnten, zum Meisterschaftsspiel ihrer Geißböcke im neuen Aachener Fußballstadion
gegen die heimische Alemannia zu kommen. Es war noch hell. Das Spiel unter Flutlicht
würde erst in knapp drei Stunden beginnen.
    Er blieb mit einem seiner Begleiter
im durchaus auffälligen Fahrzeug, einer dunklen Limousine, sitzen. Der Mann auf
dem Rücksitz hinter ihm schien ein Nickerchen zu machen; zumindest entstünde dieser
Eindruck bei anderen Autofahrern, die ihn so da liegen sähen. Die beiden anderen
FC-Fans hatten sich außen an den Wagen gelehnt, nippten gelegentlich an ihren Kölsch-Flaschen
und beobachteten, wie sich der Parkplatz rasch füllte. Sie hatten Zeit. Sich schon
früh ins supermoderne Stadion zu begeben, das vom alten, gerade einmal 300 Meter
entfernten nur den Namen, nicht aber die Provinzialität übernommen hatte, kam ihnen
nicht in den Sinn. Sie würden sich das immer wieder brisante, prickelnde Spiel zwischen
den rheinischen Rivalen anschauen, aber sie würden sich nicht, eingeklemmt in der
wartenden Menge, an diesem Dienstagabend die Beine in den Bauch stehen. Die beiden
Männer, ebenso wie er Ende 30/Anfang 40, schauten gelangweilt auf das anwachsende
Treiben der erwartungsvollen Fans. Er hingegen erging sich mehr in der Erinnerung
an die Zeiten, in denen er regelmäßig zum Tivoli gegangen war. In diese alte Bruchbude
an der Krefelder Straße, trotz allem eine Kultstätte des Fußballs. Eng, steil, laut,
immer etwas anders als in anderen Stadien, und mit einem Heimatverein, der Alemannia,
die auch immer etwas anders gewesen war als andere Vereine, und mit Fans, die gewissermaßen
mit dem Hass auf den 1 . FC Köln aufwuchsen. Immer noch fühlten sich die Öcher Fans betrogen,
seitdem bei der Gründung der Fußball-Bundesliga 1962 und der Aufnahme des Spielbetriebs
1963 die Kicker vom Rhein in die neue Spielklasse aufgenommen wurden, die Alemannia
aber, obwohl sportlich qualifiziert, aus dem Kreis der 16 Elitemannschaften gestrichen
wurde. Das war für ihn jedoch, im Gegensatz zu vielen anderen, Schnee von gestern
und er wusste auch nur vom Hörensagen davon. Obwohl nur wenige Schritte vom neuen
Tivoli entfernt, lagen Welten zwischen beiden Bauten. Abbruchreif, von der bürgerlichen
Nachbarschaft hinter der Haupttribüne argwöhnisch beäugt und bei jeder Sanierungsmaßnahme
mit einem juristischen Protesthagel überschüttet, so hatte der alte Tivoli keine
Zukunft mehr: Es kam zum Umzug der Alemannen in den auch optisch attraktiven Neubau
unmittelbar neben dem gewaltigen Reitstadion in der Soers.
    Er holte sich zurück in die Gegenwart,
nachdem er noch einmal an das letzte Spiel zwischen Aachen und Köln gedacht hatte,
das mit einem Sieg der Alemannia geendet hatte. Noch knapp 30 Minuten waren es bis
zum Anstoß. Sie waren allein auf dem Parkplatz, der inzwischen restlos mit Autos
gefüllt war.
    »Packen wir’s an!«, forderte er
seine Begleiter auf. Er öffnete die Tür hinter seinem Sitz und fing den Körper auf,
der langsam auf ihn zu kippte. Leicht hievte er den Mann an, die beiden anderen
griffen die Beine. Zusammen trugen sie den Leichnam an die Böschung, in der sie
ihn in den tiefer gelegenen Graben sacken ließen.
    »Ruhe sanft!«, sagte er spöttisch.
Er drehte sich um, riegelte den Wagen ab und eilte mit seinen Kumpanen zum hell
erleuchteten Stadion, aus dem erstaunlicherweise trotz der Kulisse von über 30.000
Zuschauer nur wenige Geräusche ins Freie
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