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Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man

Titel: Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Autoren: Jeffery Deaver
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…Eins
    Seien Sie gegrüßt, verehrtes Publikum. Herzlich willkommen.
    Willkommen zu unserer Show.
    Es erwartet Sie ein ganz besonderer Nervenkitzel, denn unsere Illusionisten, Zauberer und Taschenspieler werden sich zwei Tage lang nach Kräften bemühen, Ihnen Vergnügen zu bereiten und Sie in ihren Bann zu schlagen.
    Unsere erste Nummer stammt aus dem Repertoire eines Mannes, von dem jeder schon gehört hat: Harry Houdini, der größte Entfesselungskünstler der Vereinigten Staaten, wenn nicht sogar der ganzen Welt, der vor gekrönten Staatsoberhäuptern und amerikanischen Präsidenten aufgetreten ist. Manche seiner Bravourstücke sind dermaßen schwierig, dass sich in all den Jahren seit seinem viel zu frühen Tod niemand mehr an ihre Aufführung gewagt hat.
    Wir wollen uns heute an einer Nummer versuchen, bei der akute Erstickungsgefahr besteht und die als
Der Faule Henker
bekannt geworden ist.
    Der Künstler legt sich dazu auf den Bauch und lässt sich die Arme mit klassischen Darby-Handschellen auf den Rücken fesseln. Dann werden die Füße mit einem Strick verschnürt, und schließlich legt man dem Probanden eine Seilschlinge um den Hals, deren anderes Ende ebenfalls an den Knöcheln befestigt wird. Da jeder Mensch unwillkürlich versucht, die Beine auszustrecken, zieht die Schlinge sich zu und leitet den furchtbaren Vorgang der Strangulation ein.
    Weshalb nennt man dieses Verfahren den
 »Faulen« Henker
? – Weil der Verurteilte sich selbst erdrosselt.
    Bei vielen von Mr. Houdinis riskanteren Auftritten waren Assistenten zugegen, um ihn im Notfall mit Messern und Schlüsseln befreien zu können. Oft hielt sich auch ein Arzt bereit.
    Heute wird es keine dieser Vorsichtsmaßnahmen geben. Falls dem Probanden nicht innerhalb von vier Minuten die Entfesselung gelingt, stirbt er. Wir fangen gleich an… aber zuvor noch ein Hinweis:
    Vergessen Sie nie, dass Sie mit dem Besuch unserer Show die Realität hinter sich zurücklassen.
    Sie mögen felsenfest überzeugt sein, etwas Bestimmtes zu sehen, und doch existiert es gar nicht. Etwas anderes halten Sie eventuell für eine Illusion, obwohl es sich um nichts als die erbarmungslose Wirklichkeit handelt.
    Ihr Begleiter könnte sich in unserer Show als vollkommen Fremder erweisen, und ein Unbekannter im Publikum weiß vielleicht mehr über Sie, als Sie ahnen.
    Was sicher scheint, kann tödlich sein. Und die Bedrohungen, gegen die Sie sich wappnen, sind unter Umständen nur ein Ablenkungsmanöver, um Sie in noch größere Gefahr zu locken.
    Was können Sie hier noch glauben? Wem dürfen Sie vertrauen?
    Nun, verehrtes Publikum, die Antwort lautet, dass Sie am besten gar nichts glauben.
    Und Sie sollten niemandem trauen. Absolut niemandem.
    Jetzt hebt sich der Vorhang, das Licht wird gedämpft, und die Musik verklingt, so dass nur noch der Herzschlag all jener zu erahnen ist, die in gespannter Erwartung verharren.
    Und unsere Show beginnt…
    Das Gebäude sah aus, als habe es schon so manches Gespenst beherbergt.
    Errichtet im gotischen Stil, schmutzig, finster. Eingezwängt zwischen zwei Hochhäusern an der Upper West Side, das Dach mit einer Balustrade und die zahlreichen Scheiben mit Fensterläden versehen. Es stammte aus viktorianischer Zeit, hatte einst als Internat gedient und später als Sanatorium, in dem die für unzurechnungsfähig befundenen Insassen den Rest ihres umnachteten Daseins zubringen mussten.
    Die Manhattan School of Music and Performing Arts hätte durchaus auch Dutzenden Geistern Unterschlupf gewähren können.
    Ein solcher Geist schwebte im Augenblick womöglich über dem warmen Körper der jungen Frau, die bäuchlings in dem dunklen Vorraum eines kleinen Auditoriums lag. Ihre reglosen Augen waren weit aufgerissen, aber noch nicht glasig, und das Blut auf ihrer Wange hatte sich noch nicht bräunlich verfärbt.
    Ihr Gesicht war dunkelblau angelaufen, denn ein straffes Seil verband Hals und Fußgelenke.
    Um sie herum lagen Notenblätter verstreut, dazu ein Flötenkoffer und ein großer Pappbecher von Starbucks. Der Kaffee hatte sich über ihre Jeans und das grüne Shirt Marke Izod ergossen. Der Rest der dunklen Flüssigkeit bildete auf dem Marmorboden eine schmale Pfütze in gekrümmter Form .
    Ebenfalls anwesend war der Mann, der die Frau getötet hatte, sich nun bückte und sie genau in Augenschein nahm. Er ließ sich Zeit und sah keinen Anlass zur Eile. Es war Samstag, noch ziemlich früh, und wie er in Erfahrung gebracht hatte, fand in dieser
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