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Schneemond (German Edition)

Schneemond (German Edition)

Titel: Schneemond (German Edition)
Autoren: Klaus Kohlpaintner
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Prolog:
    K älte. Gnadenlose, beißende Kälte. Das Land lag unter einem klaren, mondhellen Himmel in Schnee und Eis erstarrt da. Der Wind strich wie ein lauerndes Raubtier über die Ebene, um den letzten Funken Lebens mit seinem eisigen Atem zu verzehren und um die letzten Reste von Wärme aus den Winkeln und Ritzen und Kuhlen des Landes zu saugen und den scharfen, pulvrigen Schnee wie ein Leichentuch über den steinhart gefrorenen Boden zu decken.
    Kälte. Eisige, gnadenlose Kälte überzog das Land, über dem ein großer, bleicher Mond am Himmel hing. Wenn man wusste, wohin man schauen sollte, konnte man unter der weißen Haut aus Schnee den Weg erahnen, der sich durch die Landschaft zog. Am Rande dieses Weges standen vereinzelt alte, knorrige Bäume. Die Kronen und Äste geneigt, trotzten sie dem Eiswind und harrten in scheinbar stoischer Ruhe, in Erwartung auf einen fernen Frühling.
    So leblos und unwirklich sich dieser Landstrich nun darbot, so voller Leben war er noch vor wenigen Wochen, in den letzten Herbsttagen gewesen. Und voller Leben würde er auch wieder sein, wenn mit dem Frühling, auch in diesem kargen Land, der Kreislauf des Werdens und Vergehens erneut beginnen würde. Jetzt aber war das Leben zum Stillstand gekommen, wartete geduldig, zurückgezogen unter der Eiskruste, welche die erstarrte Erde überzog, auf eine neue Chance.
    Doch nicht alles Leben hatte sich vor der allgegenwärtigen Kälte verkrochen. Am Fuß eines der Bäume am Wegesrand, kauerten zwischen dessen entblößten Wurzeln und nur notdürftig mit Lumpen und zerfetzten Kleidern bedeckt, zwei Kinder, eng umschlungen, in dem vergeblichen Bemühen, den letzten Rest von Wärme in ihren Körpern zu schützen. Sie pressten sich derart auf den kalten Boden und zwischen das Wurzelwerk des Baumes, dass sie auf den ersten Blick mit der gequälten Natur verwachsen schienen. Seit Stunden schon lagen der Junge und das Mädchen in ihrem dürftigen Unterschlupf, der ihnen wenig Schutz und Hoffnung bot. Sie hatten einen langen und beschwerlichen Weg hinter sich gebracht, um in diese karge, verlassene Einöde zu gelangen, immer getrieben von der Hoffnung, den vorbestimmten Weg verlassen zu können.
    Dies war nie eine Zeit für Kinderträume gewesen. Doch damit hatten sie gelernt zu leben. Dies war eine Zeit für die Starken, Schlauen und Kaltherzigen. Doch das war nicht der Grund für ihr hier Sein.
    Es gibt noch eine andere Wirklichkeit hinter all dem Werden, Leben und Vergehen, eine andere Wirklichkeit hinter diesem Kämpfen, Schlachten undÜbervorteilen.
    Und für diese andere Wirklichkeit waren der Junge und das Mädchen bestimmt.
    Sie hatten den Weg, der vor ihnen lag erkannt, jedes für sich, ohne dass sie das Ende des Weges sehen konnten. Sie hatten die Sehnsucht und das Drängen in ihren Herzen gespürt und sich schließlich für die Suche nach dem Anderen entschieden. Und diese Entscheidung hatte sie endlich hier zusammengeführt, hier zwischen den Wurzeln des Baumes auf der nackten, kalten Erde.
    Auf der Stirn des Jungen stand, trotz der eisigen Kälte, der Schweiß. Die Augen hinter seinen geschlossenen Lidern bewegten sich hektisch hin und her und seine blauen, aufgesprungenen Lippen formten stumme Worte. Das Mädchen schmiegte sich noch enger an ihn und er schien etwas ruhiger zu werden. Ihre Herzen schlugen nun in völligem Gleichklang.
    Unmerklich und ruhig, während die Zeit Stunde um Stunde verging, trieben die Kinder, eng umschlungen, langsam aus dem Diesseits.
    Gemächlich und vereinzelt zuerst zeigten sich silbrige Wolkenfäden am klaren, kalten Himmel. Doch schnell zogen mehr und mehr Wolken herauf, schoben sich vor den mattglänzenden Mond und verdunkelten schließlich das ganze Firmament.
    Als endlich die Dämmerung die dunkle Nacht in einen grauen Morgen verwandelte, fielen sanft und fast zärtlich die ersten Flocken auf die Wangen der beiden Kinder, deren Wärme nicht mehr ausreichte diese zarten Eisgebilde zu schmelzen. Der Junge presste mit letzter Kraft seine Stirn an das Haar des Mädchens und hauchte kaum hörbar: »Meine Blume.«
    Die Flocken wirbelten jetzt dick und weich über das Land und brachten eine friedvolle Stille. Als der Morgen endlich ganz gekommen war, waren die Körper der beiden Kinder bereits erstarrt. Der Schnee hatte die beiden eng umschlungenen Wesen nun völlig bedeckt und mit dem Land verschmolzen. Durch den lautlosen Wintermorgen trieben zwei Worte, wie eine Feder in der Sommerluft.
    »Meine
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