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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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oder mit einem schweren Sprachfehler behaftet sein, um sich an dieses Haus engagieren lassen zu müssen. Leichtfüßig nahm der Buffo die Stiegen zu dem im zweiten Stock befindlichen Betriebsbüro des Theaters. Er wollte sofort versuchen, Stand und Art dieser Frau zu ergründen.
    Der Buffo betrat das Betriebsbüro unter dem Vorwand, sich den Probenplan der nächsten Woche notieren zu wollen, und fragte die verfettete Disponentin: »Da war jetzt in der Kantine eine sehr gut aussehende Frau, nicht mehr ganz jung, aber wirklich toll, hat die irgendwas mit uns zu tun?«
    Die Disponentin wusste sofort, wen er meinte, und machte aus ihrem Abscheu kein Hehl.
    »Geschmäcker sind verschieden. Aber du meinst sicher«, und sie nannte einen jener Künstlernamen, die so klingen wie die Rollen in den Salonkomödien, also etwa
Françoise Bellon, Dany Raimondi
oder
Esther Estrella
. »Sie hat einen Stückvertrag für die Boulevardkomödie«, setzte die fette Disponentin missmutig fort. »Wie der Chef auf die gekommen ist, ist mir ein Rätsel.«
    Mir nicht, dachte der Buffo.
    Er war außer Rand und Band. Eine Frau dieses Aussehens mit ihm gemeinsam engagiert! Da konnte was nicht stimmen, diese Frau musste, wenn nicht einen Defekt, so doch ein Geheimnis haben. Der Buffo war fest entschlossen, das Geheimnis zu ergründen. Instinktiv hatte er das Gefühl, das sei Voraussetzung für den Versuch, eine Vernaschung anzustreben.
    Es war Altweibersommer. Am Theater hatten die Proben für die neue Spielzeit begonnen, der angekündigte Spielplan war, wie auch der des Vorjahres, abonnentenfreundlich. Die höchstens zwei Dutzend Intellektuellen dieser Stadt verachteten dieses Theater, der Rest der Bevölkerung war, sofern er sich für Theater überhaupt interessierte, mit dessen Gebaren zufrieden. Der Buffo probte für die erste Operettenpremiere der kommenden Saison den
Boni
in der
Csárdásfürstin
, aber da er den
drauf
hatte und im Übrigen auf der Bühne seinen Fans zuliebe immer so ziemlich das Gleiche machte, hatte er noch genügend Zeit, am nahe liegenden Badesee den Touristinnen der Nachsaison nachzustellen.
    Dazu hatte er aber keine Lust mehr, seit er die
Frau mit dem Geheimnis
gesehen hatte. Sie beherrschte seine erotischen Fantasien in ungekanntem Ausmaße. Sie machte ihm das Theater, an dem er zu seinem Leidwesen engagiert war, machte ihm die Stadt, in der er zu seiner Unzufriedenheit zum kleinen Lokalstar geworden war, machte seine Karriere, die aus einem jugendlichen Komiker einen kokettierenden
Abonnentenschwarm
gemacht hatte, plötzlich wieder attraktiv.
    Weg waren die schwarzen Gedanken, die ihn beinahe schon veranlasst hätten, seinen Vertrag zu kündigen und es ohne Engagement, ohne Sicherheit, nur auf eigenes Risiko, doch noch in der Großstadt, im Bereiche des Musicals zu versuchen.
    Jetzt hatte seine Anwesenheit in dieser Stadt wieder ihren Sinn.
    Er wusste, es würde nicht einfach sein, an die Frau mit Geheimnis heranzukommen. Denn das Schauspielensemble pflegte mit den Kollegen der musikalischen Sparten wenig Umgang, schon gar nicht mit jenen der Operette, man legte auf gewisse künstlerische Standesunterschiede allzeit Wert. Aber davon abgesehen, die Frau mit Geheimnis tauchte auch im für gewöhnlich vom Schauspiel bevölkerten Theaterlokal – also nicht der Kantine, die war mehr für Chor und Technik da – nie auf. Die Frau mit Geheimnis verschwand nach ihren Proben immer in Richtung ihres Hotels und – so weit das der Buffo in seiner erregten Verfassung recherchieren konnte – immer allein.
    Von den Kollegen des Schauspiels war für den Buffo nicht viel zu erfahren, obwohl er sich im Theaterlokal an sie heranmachte. Sie sei sehr diszipliniert bei den Proben, hörte er, vom Können her noch nicht endgültig zu beurteilen. Und dann fielen einige Sätze über ihre Traumfigur, die dem Buffo geradezu ins Herz schnitten. Könnten Seelen singen und das noch zähneknirschend, hätte die seine wohl
Mädchen gibt es wunderfeine
… intoniert.
    Eines Tages war er zu später Stunde mit dem Dramaturgen des Hauses unterwegs, einem Mann, der ab einer gewissen Nachtzeit auch mit Leuten von der Operette vorliebnahm, Hauptsache, er hatte beim Saufen Gesellschaft.
    Die beiden unbeweibten Männer, der Buffo aus eigenem Entschluss, der Dramaturg wegen allgemeiner Chancenlosigkeit, erlebten einige Kneipen bis zur Sperrstunde, bis – auf Vorschlag des Dramaturgen – nur noch der
Club Eve
übrig blieb. »Die haben Damenwechsel gehabt.
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