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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Es ist aus, Cravelli. Vorbei!«
    »Wer … wer sind Sie?« keuchte Cravelli. Er tastete nach seinem Revolver, aber dieser lag unten in der Bibliothek in der Schreibtischschublade. »Woher kommen Sie?«
    »Durch das Dach –«
    »Durch …« Cravellis Aktivität kehrte zurück. Die Schrecklähmung verschwand. Er stürzte vor und brüllte. »Hilfe! Einbrecher! Hilfe!« Auf dem Canale jaulte der Motor auf … seine Stimme zerflatterte hilflos im Geheul des Bootes.
    Die Gestalt streckte eine Hand mit einem langen Dolch vor.
    »Bleib stehen«, sagte sie scharf. »Hebe die Hände hoch! Dottore Berwaldt ist längst in Sicherheit. Er ist schon in seinem Hotel –«
    Cravellis Gedanken begannen eine wilde Jagd. Er bezweifelte keinen Augenblick die Richtigkeit. Verloren, dachte er nur. Alles ist verloren! Was bleibt, ist die Flucht. Irgendwohin … in einen Winkel dieser Erde, ganz gleich, wohin. Nur weg … weg aus diesem Venedig …
    Er sah die Gestalt an, die vorgestreckte Hand mit dem blitzenden Dolch. Ich war einmal ein schneller Bursche, dachte er. Ich konnte reagieren. Kann es der alte Cravelli immer noch? Noch bei diesem Gedanken schnellte er blitzartig vor.
    Bevor die dunkle Gestalt in der Tür zu einer Gegenwehr kam, prallte Cravellis Körper gegen ihn. Gleichzeitig schlugen Fäuste auf ihn ein, ein Trommelfeuer von Schlägen, gegen den Kopf, gegen das Kinn, in die Magengrube. Die dunkle Gestalt stöhnte auf. Sie versuchte, sich zu wehren, aber Cravellis Fäuste hieben mit einer verzweifelten Kraft auf ihn ein. Der Dolch flog in das Zimmer zurück, noch einmal versuchte die dunkle Gestalt, die Hände zu erheben, sich in den Anzug Cravellis festzukrallen. Aber ein gewaltiger Schlag zwischen die Augen warf sie auf den Boden … sie krümmte sich, stöhnend vor Schmerzen, streckte sich dann und blieb wie betäubt liegen.
    Cravelli hetzte die Treppe herunter. Es kam nicht mehr darauf an, wer die Eindringlinge waren … er hörte oben von den höheren Stockwerken laute Rufe und das Jammern seines Hausmeisters. Man hat Dr. Berwaldt befreit, dachte er nur und rannte keuchend weiter. In der Bibliothek raffte er schnell ein paar Papiere aus seinem Schreibtisch zusammen, knüllte sie in die Tasche und rannte dann zu der kleinen Tür in der Halle, die zu dem Seitengang und dem kleinen, im Hause liegenden Hafen führte.
    In der Halle dröhnte es dumpf. Cravelli blieb einen Augenblick schwer atmend stehen. Die große Tür zum Canale schwankte und bebte. Sie rammen die Tür auf, die Hunde, dachte er. Kommandos ertönten, Zurufe, dann wieder das Anrennen mit einem harten Gegenstand, vielleicht einem kurzen Baumstamm oder einer dicken Eisenstange.
    Cravelli stürzte weiter. Er lief durch einige langgestreckte Kellerräume, durch gewundene Gänge und feuchtkalte, modrig riechende Tunnel. Wie über der Wasserfläche, so war auch unter ihr ein Labyrinth von Gängen und Kellern, in dem sich ein Unkundiger heillos verlaufen konnte.
    Einige Türen mußten aufgeschlossen werden, dann erreichte Cravelli eine Art Garage. Aber in ihr stand kein Wagen, sondern auf schwarzem, trübem, öligem Wasser schaukelte die weiße Jacht ›Königin der Meere‹ und ein pfeilschnelles, kleines Motorboot. Mit einem weiten Satz sprang Cravelli in das kleine Boot und drehte den elektrischen Starter. Der Motor brummte auf, ein Schütteln ging durch den schlanken Bootsleib.
    Es war Cravelli, als könnte er aufatmen. Das Gefühl, in Sicherheit zu sein, ließ ihn wieder klar und nüchtern denken.
    In wenigen Minuten war der Spuk vorbei, und mit ihm der Traum einer Weltherrschaft. In wenigen Minuten würde Sergio Cravelli in der Anonymität der Masse untertauchen. Ein gut gefälschter Paß würde ihm in einem anderen Land wieder alle Chancen öffnen. Er legte die Hand auf die Brust und fühlte durch den Anzugstoff das wertvolle Paßbuch. Ein großer Teil seines Vermögens war sowieso ins Ausland geschafft worden, nach Panama, den Bahamas, Venezuela und Costa Rica. Nur noch ein Sprung hinaus aus Venedigs schweigenden Kanälen, und wie ein Phantom hatte sich Sergio Cravelli aufgelöst in der Weite der Welt.
    Vorsichtig lenkte er das kleine, schnelle Boot aus dem unterirdischen Hafen. Auch dieser Hafen war eine der genialen Konstruktionen Cravellis. Ein kleiner, auf keiner Karte verzeichneter Seitenarm des Canale Santa Anna floß unter einem Teil des auf Pfählen erbauten Palazzo Barbarino hindurch und verschwand in einer Erdspalte. Wo er wieder zutage trat,
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