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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schien sehr fröhlich zu sein. »Das wollte ich nur wissen.« Er sprach ein akzentfreies, ein wenig singendes Deutsch.
    »Wieso?«
    »Ich stehe hier nämlich schon eine ganze Weile und beobachte Sie.«
    »Sie müssen sehr viel Zeit haben, daß Sie sie so nutzlos vertun!«
    »Sie sollten abgeholt werden, und keiner ist gekommen, – stimmt's?!«
    »Sie sollten als Hellseher auftreten.«
    »Ich bin ein weichherziger Mensch. Ich sehe, daß Sie ratlos sind. Ich kann aber keine ratlosen Mädchen sehen! Das ist eine alte Schwäche von mir.«
    »Dann wenden Sie sich ab, und sehen Sie sich die Züge an –«
    »Und Sie?«
    »Ich warte weiter.«
    »Auf wen?«
    »Auf meinen Chef.«
    »Ein vergeßlicher, unpünktlicher Herr, nicht wahr? Wie kann man ein Mädchen wie Sie warten lassen!«
    Ilse Wagner hob die Schultern. Sie sah sich wieder suchend um. Der Bahnhof starb aus … sie waren neben den beiden fegenden Frauen die einzigen, die noch auf dem Bahnsteig III standen. Ein Gefühl tiefster Verlorenheit kam in Ilse hoch. Sie schluckte mehrmals; wie ein Kloß saß ihr die Angst in der Kehle.
    »Was nun?« fragte der Herr. Er war ernst geworden. Die Burschikosität, mit der er Ilse Wagner angesprochen hatte, war von ihm abgefallen. »Es muß doch etwas geschehen!«
    »Aber was –?« sagte Ilse kläglich. »Es kommt keiner … Ich verstehe das einfach nicht –«
    »Wenn es auch schwer ist und ich Ihnen völlig fremd bin: Bitte, haben Sie Vertrauen zu mir. Ich heiße Rudolf Cramer, in Zürich geboren, bin Opernsänger und kein Papagallo, der auf den Bahnhöfen herumschleicht, um junge Mädchen zu fangen. Wenn ich kann, will ich Ihnen helfen.«
    »Danke –«, sagte Ilse Wagner. Sie sah Cramer von der Seite an. Ein Opernsänger, dachte sie. Aus der Schweiz. Wie soll er mir helfen? Warum ist Dr. Berwaldt nicht gekommen?
    »Warum sind Sie nach Venedig gekommen?«
    »Mein Chef hat mich herbefohlen. Mit einem Brief und einer fertig ausgeschriebenen Fahrkarte. Er wollte mich abholen –«
    »Wer ist Ihr Chef?«
    »Dr. Peter Berwaldt. Ein Arzt und Virusforscher. Er hat in Berlin-Dahlem ein großes Laboratorium, und ich bin seine Chefsekretärin. Wir haben 14 Angestellte, 21 Affen, 67 Meerschweinchen und 145 Ratten …«
    »Danke, das genügt!« Rudolf Cramer lächelte. »Halten Sie mich jetzt bitte nicht für den 22. Affen – aber ich werde nicht klug aus der Sache.«
    »Ich auch nicht –«, sagte Ilse kläglich.
    »Ihr Chef holt Sie nach Venedig –«
    »Geschäftlich! Er ist seit acht Wochen hier zu Versuchen und Besprechungen –«
    »Aha! Nehmen wir einmal an, Ihr Chef ist verhindert … eine unvorhergesehene Konferenz oder sonst etwas … kurz: Er kann Sie nicht abholen!«
    »Dann hätte er bestimmt jemanden geschickt.«
    »Logisch! Aber es ist keiner da. Das ist die Tatsache. Wohin darf ich Sie also bringen?«
    Ilse Wagner sah Cramer aus großen, braunen Augen an. Ihr Mund zitterte, und noch bevor sie sprach, hob sie die Schultern.
    »Das ist es ja … ich weiß es nicht –«
    »So etwas gibt's doch nicht! Sie müssen doch wissen, wohin Sie gehen sollen …«
    »Nein! Bitte. Lesen Sie selbst.« Sie holte den Brief wieder aus der Tasche und hielt ihn Cramer hin. Er las ihn laut vor, und seine Stimme wurde immer verwunderter.
    »… erwarte Sie Sonnabend, 21.15 Uhr, am Zug in Venedig. Akte siebzehn und dreiundzwanzig mitbringen. Ich werde am Zuge sein …«
    »Und nun stehe ich hier –«, sagte Ilse leise.
    Cramer drehte den Brief herum, nahm das Kuvert und schüttelte den Kopf. »Kein Absender – keine Adresse …«
    »Das ist es ja!«
    »Aber wohin gingen denn alle Briefe, die Sie in den vergangenen acht Wochen sicherlich geschrieben haben.«
    »Postlagernd Venedig I.«
    »Das ist die Hauptpost.«
    »Ja.«
    »Und warum?«
    »Aus Geheimhaltungsgründen … Ich … ich kann Ihnen das nicht erklären! Ich darf es nicht –«
    »Großer Forschungsknüller, was?«
    »Ganz großer. Dr. Berwaldt glaubt, es könne damit eine Revolution in der Carcinombekämpfung geben. Aber solange das Präparat nicht über lange Untersuchungsreihen hin erprobt worden ist, soll Stillschweigen bewahrt werden. Deshalb die Vorsicht –« Ilse Wagner sah Cramer hilfesuchend an. »Was mache ich nun?«
    »Zuerst werfen Sie alle Sorgen weit weg und lachen Sie! Es ist ein ungeheures Glück für Sie, daß gerade ich bei Ihnen bin!«
    »O Gott!« seufzte Ilse.
    »Sie werden es gleich anerkennen! Im Augenblick sind Sie wie ein in die Wildnis ausgesetztes
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