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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geschnitzten Drachenköpfen … und die Wand wuchs und wuchs und wuchs …
    Cravelli ließ das Steuer los. Mit weit aufgerissenen Augen faltete er die Hände. Speichel tropfte von seinen Lippen, er warf den Kopf zurück und starrte in den schwarzen Nachthimmel, an dem kein Stern zu sehen war.
    »Vater unser, der Du bist im Himmel –«, betete er. Er schrie es hinaus, mit greller, weinerlicher Stimme, er heulte es förmlich und hob die gefalteten Hände.
    Da krachte es um ihn … sein Körper fiel hart gegen das Steuer … riß es in einem verrückten Winkel herum … sein Kopf schlug gegen das Armaturenbrett … aber es betäubte ihn nicht … es ließ ihn noch erleben, wie ein Untergang ist … wie Gondeln vor ihm unter das Wasser gedrückt wurden, wie Menschen aufbrüllten, wie eine Hauswand auf ihn zuraste …
    »Mein Gott! Mein Gott!« kreischte Cravelli.
    Dann war nur noch ein Feuerschein um ihn … er hörte noch das Krachen der Explosion, spürte einen glühend heißen Stich durch sein Herz zucken … dann war die Nacht um ihn … die ewige Nacht –
    Rudolf Cramer hockte in seinem Boot und starrte stumm auf die letzte Wahnsinnstat Cravellis. Während der Motor seines Bootes aussetzte, heulte vor ihm der weiße Leib auf die Gondelmauer zu, rammte die ersten Kähne, wurde aus der Bahn geschleudert, raste steuerlos in wilden Bögen durch den Kanal und bohrte sich dann in die steinerne Kaimauer.
    Eine grelle, donnernde Explosion erhellte taghell die Nacht, zuckte über ein Gewirr verkrümmter, umgestürzter und sinkender Gondeln und fiel dann zusammen zu einem glühenden Punkt, der an der Mauer weiterglomm. Ein dünner Strom brennenden Benzins ergoß sich aus ihm in das Wasser und trieb mit einer wunderlich blauen Flamme auf den spitzen Wellen.
    Es war ein heller, sonniger, warmer Morgen, als Ilse Wagner erwachte. Sie konnte nicht sagen, daß der Schlaf sie erfrischt hatte … bis zum Morgen hatte sie auf dem Bett gesessen oder sich aus dem Fenster gelehnt und auf Rudolf Cramer gewartet. Einmal war es ihr, als habe sie in der Ferne einen lauten Knall gehört … aber als sie ans Fenster lief, lag vor ihr der Canale Grande in nächtlicher Ruhe. Nur ein Heer von Gondeln glitt lautlos hin und her, kaum beleuchtet, Schatten über dem Wasser. Später war sie vor Erschöpfung eingeschlafen … und sie hatte von der kleinen Insel und der kleinen Kirche geträumt, von einer riesigen Kerze vor einem Altar und einer hoffnungsvollen Stimme, die aus dem Himmel zu schweben schien.
    Nun war heller Morgen, aber es lag noch wie Blei in ihren Gliedern. Sie bewegte sich etwas, hob die Hand und dachte, daß sie einen Zentner wiegen müßte. Mit einem Seufzer drehte sie sich zur Seite und sah die Vase.
    Eine große, geschliffene Kristallvase. In ihr stand ein riesiger Strauß roter Rosen. An einem gelben Seidenband hing in dem Gewirr von Blüten und Dornen eine kleine Karte.
    Die Müdigkeit fiel von ihr ab. Mit einem Satz sprang sie auf, riß die Karte heraus und öffnete den Umschlag. Die Unterschrift, die sie zuerst las, machte sie wieder schwach und ließ sie auf das Bett zurücksinken. Dann überflog sie die Zeilen.
    »Liebes Wagnerchen,
für das, was Sie für mich getan haben, gibt es keine Worte, und alle Blumen der Welt reichen nicht aus. Ihnen auch nur annähernd zu danken. Ich stehe für immer in Ihrer Schuld, sie ist nicht tilgbar. Sie werden erst heute morgen erfahren, welchen Dienst Sie uns allen erwiesen haben. Lassen Sie mich aber als Ihr ›Freund‹ auch der erste sein, der Ihnen gratuliert. Herr Cramer hat mich über alles unterrichtet … Ihre Wahl traf auf den besten und mutigsten Menschen, den ich kenne …
    Ihr Peter Berwaldt.«
    Mit zitternder Hand griff Ilse Wagner zum Zimmertelefon und ließ sich mit dem Appartement Dr. Berwaldts verbinden. Er war nicht mehr oben … das Zimmermädchen sagte, seit einer Stunde verhandele der Dottore im kleinen Saal des Hotels.
    »Danke …«, sagte Ilse leise. »Danke … grazie –«
    Sie legte auf und drückte auf den Klingelknopf hinter dem Bett. Françoise, das Zimmermädchen, kam sofort herein, als habe es vor der Tür auf das Zeichen gewartet.
    »Bonjour, Mademoiselle!« rief sie fröhlich und zog die Gardinen auf. »Ein schöner Tag – aber heiß …«
    »Schnell ein Bad –«, rief Ilse.
    »Mademoiselle haben wunderbar geschlafen.« Françoise lief in das Bad, das Wasser plätscherte in die Wanne. »Isch soll Sie noch grüßen von Docteur und Ihre Bräutigam … Sie
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