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Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Autoren: Alexandra Grote
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PROLOG
    S ie stellte den Radiorekorder im Wohnzimmer an und legte eine Kassette ein. Sofort hellte sich ihre Miene auf. Im heiteren Rhythmus der Akkordeontöne wiegte sie ihren Oberkörper leicht hin und her. Ein Lächeln, gedankenverloren und wie aus einer anderen Zeit, legte sich über ihre Züge.
    Sie drehte die Lautstärke ein Stück weiter auf und schloss die Augen. Starke Arme, sehnig und muskulös, umfassten ihre Taille und wirbelten sie herum. Ein Schwindel erfasste sie - wie damals vor dem Krieg, als sie Kind war und auf dem Jahrmarkt vor dem Eiffelturm Karussell fuhr. Ganz benommen war sie nach den Fahrten, wenn sie dann an einer der Kirmesbuden Süßigkeiten und bunte Luftballons gekauft bekam.
    Doch das war lange her.
    Seitdem hatte das Leben sie mit all seinen Stürmen, Schrecken und Enttäuschungen heimgesucht und geprüft. Nur wenige Menschen überstehen eine solche Prüfung unbeschadet.
    Sie war allein. Alberts Tod lag viele Jahre zurück. Von dem fernen Kontinent, wohin ihre einzige Tochter
vor dreißig Jahren ausgewandert war, kamen keine Briefe mehr, keine Telefonate, nichts. Nie mehr! Der Tod war grausam in seiner Unabänderlichkeit. Die Brutalität dessen, was geschehen war, hatte ihr einige Zeit zu schaffen gemacht. Inzwischen war der Schmerz versiegt, wie ein Rinnsal in der Dürre, doch die Trauer hatte sie nie verlassen. An manchen Tagen stülpte sie sich über ihre Seele wie eine Glasglocke, unter der sie zu ersticken drohte.
    An ihren eigenen Tod dachte sie jeden Tag. Mit einer gewissen Neugierde fragte sie sich manchmal, in welcher Gestalt er wohl käme? Und was würde wohl ihr letzter Gedanke sein, wenn es so weit war? Vielleicht hätte sie keine Gelegenheit zu einem letzten Gedanken, weil der Tod sie im Schlaf überraschte. Schnell und schmerzlos, anders, als es ihrer Tochter beschieden gewesen war. Das wäre das Beste und der einzige Wunsch, den sie noch haben würde.
    Nein, nicht der einzige! Bevor sie sanft entschlief, wollte sie noch einen letzten Walzer tanzen...
    Sie lächelte. Die Musik verklang. Das nächste Stück trug den Titel » Paris en Fête «. Sie kannte alle Stücke auf der Kassette.
    Erneut drehte sie am Lautstärkeknopf und ging ins Bad. Als sie sich kurz darauf ankleidete, wählte sie die Garderobe sorgfältig aus. Ein gelb-lila geblümtes Seidenkleid mit langen Ärmeln, die mit einem schmalen Bündchen abschlossen. Dazu passten die lila Wildlederpumps,
ihre Lieblingsschuhe. Noch einige Spritzer Chanel Nummer 5, die Turmalinkette ihrer Großmutter, den Brillantring, den Albert ihr 1951 zur Verlobung geschenkt hatte. Zufrieden betrachtete sie ihr Bild im Spiegel des Kleiderschranks. Mit der dunkelbraunen Echthaarperücke (leicht gelockt, Ponyfransen), die sie sich vor einer Woche zugelegt hatte, und derentwegen ihre spärlichen, grauen Haare ganz kurz geschnitten werden mussten, sah sie entschieden jünger aus, als sie war. Und so fühlte sie sich auch.
    Die Uhr auf der Anrichte im Wohnzimmer zeigte kurz nach acht. Noch war keine Eile geboten. Der ganze Vormittag lag vor ihr. Doch sie wollte festlich gekleidet und geschminkt sein, für den Fall, dass er früher kam, sie vielleicht in ein Cafe ausführte (möglicherweise auch zum Mittagessen), bevor sie sich später in einem der Lokale ins Getümmel stürzten.
    Es war ein Vergnügen, das sie sich beinahe jeden Sonnabendnachmittag gönnte.
    Beschwingt spitzte sie die Lippen und pfiff die Melodie mit, die aus dem kleinen Rekorder laut durch die Wohnung klang.
    Gegen halb neun klingelte es. War er das vielleicht schon? So früh kam er sonst nie... Ihr Herz schlug schneller. Sie zupfte die Perücke zurecht, fuhr mit der Zunge vorsichtig über ihre karmesinrot geschminkten Lippen, damit sie frisch und erwartungsvoll wirkten, und ging mit eiligen Trippelschritten zur Tür.

    Sie hatte richtig vermutet. Etwas unbeholfen und schüchtern stand er im halb dunklen Treppenhaus. In der rechten Hand hielt er einen Blumenstrauß. Unter dem offenen Regenmantel trug er einen nachtblauen Nadelstreifenanzug mit silberner Krawatte. Die Augen waren hinter einer verspiegelten, dunkel getönten Brille verborgen.
    »Komm rein«, sagte sie und betrachtete ihn wohlwollend. Dass sein Blick hinter der getönten Brille so gar nicht zu dem jungenhaften Lächeln passte, das er ihr wie üblich zur Begrüßung schenkte, bemerkte sie erst, als es zu spät war.

1. KAPITEL
    D er erste Oktobertag begann mit Regen. In feinen, gleichmäßigen Bahnen rann er
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