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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lebens, sondern bereits am Eingang in eine Hölle, deren Ausmaß keiner übersehen kann! Alle diese Formeln, die ich zerrissen habe, sind das Herrlichste und Grausamste, was ein Mensch je erdenken konnte. Wir hatten beides in einer Hand: Ein verlängertes Leben und einen sekundenschnellen, unsichtbaren Tod! Für mich war es ein Zufall, das entdeckt zu haben … aber heute nacht wußte ich, daß es mir möglich sein würde, die Entwicklung aufzuhalten, die Herrlichkeit und Tod in einem ist. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, den Krebs zu heilen … Weiterleben für einige Hunderttausende. Aber mit dieser Formel hätte man ebensogut Millionen lautlos töten können. Welches Opfer ist größer, was ist für den Fortbestand unserer Menschheit wertvoller?!«
    Prof. Panterosi nagte an der Unterlippe. Sein fahles Gesicht war nun gelblichblaß geworden.
    »Und Ihre Dachkammerpatientinnen? Und die kleine Claretta? Und meine hoffenden, mir unter den Händen sterbenden Menschen?«
    Dr. Berwaldt senkte tief den Kopf. »Ich kann ihnen nicht mehr helfen. Mein ›Wundermittel‹ wäre zum schrecklichsten Teufelsgeschenk geworden! Ich kann nur eines tun: Von neuem anfangen! Neue Versuche, neue Wege, erst an Tieren, später dann – ein Plan in dunkler Ferne – an Menschen … und vielleicht, vielleicht ein Erfolg! Ich werde wieder von vorn anfangen müssen … mit dem Versuch Nr. 1 –«
    Prof. Panterosi legte beide Hände über die Augen. Ein Zittern lief durch seinen schmächtigen Greisenkörper.
    »So nah am Ziel … so nah –«, stöhnte er. »Dottore Berwaldt – trotz allem: Ich glaube an Sie! Ich glaube, daß Sie einmal das Dunkel durchstoßen können, das uns heute noch den Blick in das Wesen des Krebses verwehrt. Ich will es Ihnen beweisen!« Er sah sich um, aber außer Dr. Berwaldt war nur Cramer im Raum und ein Mädchen, das stumm und mit hochrotem Kopf in der offenen Tür stand. »Sie sollen meine Zeugen sein: Ich stelle Ihnen, Dottore, meine ganze Klinik zur Forschung zur Verfügung. 500 Betten, davon zur Zeit 159 Krebskranke. Alle Labors stehen Ihnen offen, alle Geldmittel gehören Ihnen, es wird Ihnen die größte Unterstützung zuteil werden, die je ein Forscher in unserem Land gehabt hat … Ich verbürge mich dafür! Bleiben Sie hier, Dottore Berwaldt –«
    Dr. Berwaldt sah Panterosi sinnend an. Er schien seine Lage zu überdenken. Das kleine Labor in Berlin, die völlig unzureichenden Mittel, der Kampf um staatliche Gelder, die vornehmlich in die Universitätsforschungsstellen flossen, aber nicht in die Labors der Privatforscher, die Mißgunst der Kollegen, die Feindschaft anderer Wissenschaftler, das Ringen um Anerkennung, die ihm in Deutschland verwehrt wurde aus der jahrhundertealten Engstirnigkeit heraus, daß medizinische Großtaten nur unter den Händen der Ordinarien entstehen können, das alles ließ ihm das Angebot Dr. Panterosis sehr verlockend erscheinen.
    Er wandte den Kopf, ganz zufällig, und sah Ilse Wagner an der Tür stehen. Er winkte ihr zu, und alle Köpfe wandten sich zu ihr.
    »Guten Morgen!« sagte Dr. Berwaldt, als sei es ein Tag wie jeder andere. »Meine Herren – das ist meine Sekretärin, Fräulein Wagner. Wir alle sollten ihr dankbar sein!« Er winkte Ilse heran und schob den Kopf vor. »Haben Sie Papier und Bleistift bei sich?«
    »Nein …«, stotterte Ilse Wagner. »Nein … ich wollte nur –«
    »Hier liegt genug herum. Nehmen Sie sich doch bitte, was Sie brauchen …« Dr. Berwaldt setzte sich zurecht, rückte die Brille gerade und sah Prof. Panterosi an, der noch immer unruhig hinter seinem Stuhl hin und her hüpfte. »Wann kann ich anfangen, Herr Professor?«
    Panterosi zuckte zusammen. »Sofort!« rief er. »Sofort!«
    Dr. Berwaldt nickte.
    »Schreiben Sie, Wagnerchen –«, sagte er wie immer. »Vertrag zwischen Herrn Prof. Emilio Panterosi, Clinica Santa Barbara, Venezia, und Herrn Dr. Peter Berwaldt, Berlin-Dahlem –«
    Der Bleistift flog über das Papier. Er kratzte etwas, und die Stenogrammzeichen waren etwas zittrig, aber sonst war es wie in all den Jahren. Berwaldt diktierte mit ruhiger, langsamer, freundlicher Stimme.
    Das Leben ist schön, dachte sie, während sie schrieb. Das Leben ist wunderschön. Heute abend werden wir wieder hinüberfahren zur kleinen Insel und in der Kirche sitzen vor den flackernden Kerzen. Und draußen wird das Wasser an die Felsen klatschen und der Wind in den Büschen pfeifen.
    »Was haben Sie zuletzt geschrieben?« fragte Dr. Berwaldt.
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