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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen. Er ließ sich einhüllen von dieser herrlichen Stimme. Jetzt wechselte sie die Worte … eine ihm unbekannte Sprache war es … Cravelli lauschte. Es mochte deutsch sein, aber so gut verstand er sie nicht, um den Worten einen Sinn zu geben. Eingehüllt in diese Stimme interessierten ihn auch nicht die Worte … es waren die Töne, die ihn fesselten und seelisch weit forttrugen. Die Stimme auf dem Canale war laut angeschwollen, sie füllte Wasser und Himmel und riß die Sterne herab, so schien es Cravelli. Er seufzte und faltete die Hände. Und die Stimme sang:
    »Wir kommen, Sie zu retten! Helfen Sie mit, das Dach an einer Stelle durchzustoßen. Seien Sie leise und vorsichtig! Erweitern Sie das Loch, das Sie schon gemacht haben! Geben Sie den Rettern ein Zeichen, wo sie das Loch finden können, um es zu erweitern. Vermeiden Sie alle unnötigen Geräusche –«
    Cravelli verstand die Worte nicht. Diese Stimme, dachte er nur. O Madonna! Der Partile ist ein Röchler dagegen! Hier singt ein kleiner Gott –
    An der Rückseite des Palazzo Barbarino war unterdessen der Klettertrupp angetreten. Als auf dem Canale die Stimme begann, gab Taccio das erlösende Zeichen. Dann sprang er selbst die Wand an und begann, emporzuklettern.
    Wie die Wildkatzen kletterten sie von Vorsprung zu Vorsprung, von Verzierung zu steinernen Podesten. Die besten Männer Taccios bauten eine neue Wand an der Mauer des Palazzo, eine Wand aus Leibern, Stricken, Leitern, Haken und Brettern. An Seilen wurden Reißhaken emporgezogen, Pakete mit Schmierseife und Stichsägen. Vom Dachgesims aus spannten sie eine Seilbahn zur Erde und holten Waffen herauf. Wie die Katzen huschten sie an den Mauervorsprüngen herauf, glitten lautlos über das große Dach und klopften leise an die unter der Pappe fühlbaren Sparren.
    Dr. Berwaldt hatte nach dem Hinauswerfen des Taschentuches eine Stunde gewartet. Dann war er wieder in das Labor gegangen und hatte das zugeschmierte Loch mit einigen Hieben wieder freigelegt. Vorsichtig begann er, mit dem Knochenmeißel das Loch zu vergrößern. Sein Drang nach außen war übermächtig. Erst auf dem Dach liegen, hatte er sich gesagt. Erst in der Freiheit atmen können … es wird dann auch einen Weg geben, in das Leben zurückspringen zu können.
    Schweißbedeckt hielt er mit seiner Arbeit inne. Deutlich hörte er Musik und Gesang. Er stellte einen Stuhl auf den Tisch und preßte das Ohr an das etwas vergrößerte Loch. Mit beiden Händen drückte er gegen das Dachholz und hob einen der Sparren leicht an.
    Jemand sang auf dem Canale. In deutscher Sprache. Ein Zittern lief über Berwaldt. Er wollte schreien, aber im gleichen Augenblick bezwang er sich, weil sein Schreien sofort Cravelli herbeigelockt hätte. Atemlos lauschte er weiter. Und jetzt verstand er die Stimme … nur wortweise … aber er begriff, wie nahe er der Freiheit war. »… wir kommen … retten … Helfen Sie … das Dach … keinen Lärm … Zeichen …«
    Dr. Berwaldt taumelte einen Augenblick und klammerte sich mit den Fingerspitzen in dem Loch fest. Rettung, durchjagte es ihn. Rettung! Mein Gott – Rettung!
    Auf dem Dach hörte er leises Kratzen und Schaben. Tappende Schritte, leise Zurufe, ein Klopfen gegen das Dach. Klirren von Werkzeugen.
    Mit aller Kraft, mit einer ungeheuren Verzweiflung stemmte sich Dr. Berwaldt gegen die Dachsparren. Er keuchte, er drückte mit beiden Händen, und dann legte er die Lippen an das Loch und rief unter Stöhnen und Röcheln: »Hierher! Mehr nach links … hierher … hierher …«
    Mit der Faust boxte er gegen die Decke. Er splitterte durch das Loch, riß sich die Haut am spitzen Holz auf … aber die Hand ragte aus dem Dach, sie winkte … eine einsame Faust inmitten einer großen, schwarzen Dachfläche.
    Und noch immer sang die Stimme.
    »Geben Sie ein Zeichen … Zeichen … Zeichen …«
    Die Männer Taccios verstanden kein Deutsch, aber sie hörten die Stimme, und sie sahen plötzlich, wie eine Hand durch das Dach krachte. Der erste, der zu ihr hinkroch, war Taccio selbst. Er faßte die Faust, schüttelte sie und rief in das Loch: »Bene! Bene!«
    Dann winkte er, die Geräte wurden herbeigeschleift, die Reißhaken und die Sägen. Taccio nickte zufrieden und pfiff grell durch die Finger.
    Auf dem Balkon träumte Cravelli. Selbst den Pfiff nahm er nicht voll wahr, sondern ließ ihn in der Melodie untergehen.
    In dem Motorboot zuckte der Kopf Cramers hoch, als der
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