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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re
Autoren: Anke Dietrich
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EINS
     
     
     
     
     
     
     
    Dem Befehl des Pharaos Folge leistend, stand Amunhotep, der Vorsteher der Osiris-Priesterschaft, ohne fremde Hilfe am Anleger von Abydos und sah der königlichen Barke entgegen. Über sieben Monate war es her, seit Ramses VII. das letzte Mal in Abydos gewesen war, um den Grundstein für seinen Totentempel zu legen. In der Zwischenzeit waren die Handwerker fleißig gewesen und hatten das Allerheiligste mit seiner Großen Halle für den Gott Osiris sowie die darum gelagerten kleineren Sanktuarien für die sechs Gottheiten und den vergöttlichten Pharao fast fertiggestellt.
    Nachdem das Schiff des Königs festgemacht und der Herr der Beiden Länder seinen Fuß auf den heiligen Boden von Abydos gesetzt hatte, fielen die Priester und Bediensteten auf die Knie und berührten mit der Stirn den Boden. Einzig Amunhotep blieb stehen, trat einen Schritt auf den Pharao zu und verneigte sich tief.
    Ramses lächelte, als er seinen Freund aus Kindertagen wiedersah. »Wie ich feststellen kann, hast du meinen Befehl befolgt und trittst mir auf deinen eigenen Beinen und ohne fremde Hilfe entgegen.«
    Er gab das Zeichen, dass sich seine vor ihm knienden Untertanen erheben durften. Dann ging er auf Amunhotep zu und umarmte ihn, eine Ehrenbekundung, die jedem zeigte, wie nah der Vorsteher der Osiris-Priesterschaft dem mächtigsten Pharao stand. Anschließend begaben sich beide Männer, gefolgt von Ramses’ Leibwache, zum Tempel.
    »Es freut mich, dass es dir wieder gut geht«, sagte Ramses und musterte Amunhotep von der Seite.
    »In der Tat, Majestät«, entgegnete dieser, und seine Stimme, die noch immer etwas rau und schwerfällig klang, erfreute das Ohr des Herrschers.
    »Wie ich höre, kannst du auch wieder sprechen. Also haben die mächtigen Zaubersprüche gewirkt?«
    Verlegen kratzte sich der Priester am Ohr. »Ja, Majestät. Doch wenn ich ehrlich sein soll, waren es wohl eher die Sprechübungen, mit denen mich Satra monatelang gequält hat.  Sie haben aber geholfen.«
    Der Pharao schmunzelte überrascht. »Sprechübungen? Davon musst du mir später mehr erzählen, doch zuerst möchte ich in meinen Palast.«
    Sie hatten den Eingangspylon erreicht und betraten den östlichen Vorhof, in dem die sechzehn Ellen hohe Granitstatue des Osiris aufgestellt war. Die königliche Familie und das Gefolge des Pharaos hatten sich derweil vom Anleger aus nach Süden gewandt. Sie waren dem Weg zum westlichen Eingangspylon gefolgt, um von dort den Palastbereich zu betreten, der dem Tempel angegliedert war.
    Ramses sah hinauf zum Kopf der Statue und fiel vor ihr auf die Knie. Er neigte den Oberkörper, um dem Herrscher über das Totenreich zu huldigen.
    Amunhotep verharrte in respektvollem Abstand hinter Ramses und wartete, bis der Pharao seine Gebete beendet hatte. Anschließend begleitete er ihn ins Haus des Lebens, das mit seinem Hof direkt an den Palastbereich grenzte und durch eine kleine bewachte Pforte mit diesem verbunden war.
    Am Zugang blieb Ramses stehen. »Ich erwarte dich und die obere Priesterschaft heute Abend zu einem Festmahl, mein Freund. Und bringe Satra mit!«
    Er grinste schelmisch und ließ den verdutzt dreinschauenden Amunhotep allein zurück, um sich in seine privaten Gemächer zurückzuziehen.
     
    * * *
     
    Satra wusste nicht, ob sie sich freuen oder ängstigen sollte, als ihr Amunhotep den Befehl des Pharaos mitteilte. Sie stand mit gesenktem Kopf vor ihm und rieb sich ihre vor Aufregung und Angst ganz feucht gewordenen Handflächen an ihrem Lendentuch ab.
    »Was ist los, Satra? Es sollte dir eine Ehre sein, dass der Herr der Beiden Länder dich zu sehen wünscht«, meinte Amunhotep und musterte sie mit gerunzelter Stirn.
    »Ja, Herr«, erwiderte sie und schluckte den Kloß hinunter, der ihr im Hals steckte. »Ich weiß nur ehrlich gestanden nicht, ob ich mich freuen oder fürchten soll. Warum sollte der Pharao eine verurteilte Leibeigene zu seinem Festmahl einladen?« Sie starrte auf ihre Füße, die in einfachen Sandalen aus Papyrusrinde steckten.
    Noch immer trug sie ein derbes halblanges Leinenhemd, das ihr bis kurz über die Knie reichte, und hatte um die Hüften ein weißes Tuch gebunden. Ihr Kopf war kahl geschoren und ihre Haut gebräunt, da Amunhotep sie neuerdings mitnahm, wenn er außerhalb des Tempels zu tun hatte. Um ihren linken Oberarm trug sie den zwei Finger breiten kupfernen Reif mit dem Sperling in der Mitte und der Aufschrift: AMUNHOTEP, OBERPRIESTER DES OSIRIS –
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