Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
entziffern?«
    »Das ist ja toll!« Der Kommissar nahm das Taschentuch mit spitzen Fingern und betrachtete es. »Von wem ist es?«
    »Wir vermuten, von Dr. Berwaldt.«
    »Wo hast du das gefunden?« schrie der Kommissar den Bettler Taccio an. »Los! Mach den Mund auf, oder ich verhafte dich wegen Mordverdacht.«
    »Entziffern Sie es erst.« Cramer winkte ab, als der Kommissar auffahren wollte. »Wenn ich Ihnen sage, woher das Tuch kommt, sagen Sie wieder: Gehen Sie mir weg mit –«
    »Nein! Cravelli!«
    »Ja.«
    »Beweise! Wo war das Tuch?«
    »Im Canale Santa Anna.«
    »Im Wasser. Hat es jemand aus dem Palazzo Barbarino flattern sehen?«
    »Nein.«
    »Also kein Beweis!«
    »Eben! Darum sollen Sie auch weiter nichts machen, als die Schrift zu entziffern versuchen. Alles andere machen wir.«
    »Was und wer?«
    »Den Beweis erbringen, und wir, das sind Taccio, ich und seine Bettler.«
    »Maestro –« Der Kommissar sah hilfesuchend auf Barnese. Was er hier sah und hörte, warf sein ganzes Idealbild vom ›großen Partile‹ um. Eine Wunderstimme zusammen mit einem Bettler. Es war einfach wie ein Märchen. »Wie wollen Sie das machen?«
    »Mit Musik.«
    Er ist verrückt, dachte der Kommissar. Der große Partile ist übergeschnappt. O Gott, wenn das bekannt wird.
    »Ja. Sie werden den Erfolg in einer Stunde sehen. Nur eine Bitte hätte ich noch.«
    »Sagen Sie sie, Maestro.«
    »Legen Sie im Canale Grande an beiden Ausgängen einen Riegel aus Gondeln … vor allem an der Ausfahrt nach Chioggia hin. Lassen Sie Ihre Boote dort patrouillieren. Sperren Sie den Hinterausgang des Canale Santa Anna ab. Das andere machen meine Bettler.«
    »Aber warum?«
    »Eine Ratte wird aus dem Loch kommen und versuchen, in seichtere Gewässer zu rennen.«
    »Wenn das wahr ist, Maestro –«
    »Es ist nur eine Bitte an die Polizei. Eine völlig ungewöhnliche Bitte: Warten Sie ab. Weiter nichts. Sie sollen die Jäger sein … wir werden die Treiber stellen und Ihnen das Wild genau vor die Flinte treiben.«
    Der Kommissar seufzte. »Das ist ungesetzlich, Maestro. Aber tun Sie, was Sie wollen! Ich weiß von nichts. Von gar nichts! Wenn es schiefgeht, werde ich Sie verhaften müssen … das wissen Sie.«
    »Ja.«
    »Und meine Boote werde ich zufällig so aufstellen, wie Sie es wünschen. Ich werde eine plötzliche Übung ansetzen.«
    »Ein guter Gedanke. Man muß immer einsatzbereit sein – das muß man üben.«
    »Genau so ist es, Maestro.«
    Der Kommissar drehte sich weg, winkte seinen Polizisten und verließ mit ihnen das Hotel. Taccio wartete, bis sie gegangen waren. Dann kam er wieder näher.
    »Und nun, Signore?«
    »Nun geht es los, Roberto. Ich brauche innerhalb weniger Minuten ein Motorboot, mit offenem Verdeck, ein schnelles Boot muß es sein, ferner eine Gondolieretracht, einen weiten Mantel, eine Perücke mit schwarzen Locken, einen Fahrer und eine Laute. Ich brauche die besten Kletterer unter deinen Leuten, die mutigsten Männer von Venedig und ein kleines Heer von Gondeln und Kähnen, die alle Seitenkanäle, Straßen, Gassen, jedes kleine Rinnsal absperren. Ich brauche Werkzeug, Leitern, Pistolen und Gewehre.«
    Taccio grinste. Seine weißen Zähne blitzten unter den kristallenen Kronleuchtern.
    »Es wird alles da sein, Signore.«
    »Und wo?«
    »Am Rio di San Barbara. Dort wartet das Motorboot.«
    Cramer sah auf seine Armbanduhr. »Pünktlich um 1.45 Uhr.«
    »Pünktlich, Signore.«
    Taccio verbeugte sich vor Ilse und entfernte sich mit Würde durch die gläserne Drehtür.
    »Mein Gott«, stammelte Ilse. »Wenn alles gut … Wenn er Berwaldt nicht tötet … Was hast du vor, Rudolf …«
    Cramer schwieg. Er war ernst geworden. Sehr ernst. Und in seinen Augen lag etwas, was Ilse vorher nie bemerkt hatte. Ein Glanz, gemischt aus Haß und Freude –
    Die tiefe Nacht um Venedig wurde lebendig. Von allen Seiten aus allen verborgenen Winkeln der Lagunenstadt, aus den engsten Wasserwegen huschten schattenhafte Gestalten sternförmig zum Canale Santa Anna. Es war ein lautloses, katzenhaftes Gleiten, ein Flattern von Mänteln, ein paar leise Zurufe, die wie das Knarren eines Fensterladens im Wind waren, geflüsterte Verständigungen, ein schnelles Nicken und ein Untertauchen in der Dunkelheit.
    Sie kamen von allen Seiten. Bettler, Händler, Musikanten, die am Tage blind oder taub vor den erbarmungsfreudigen Touristen saßen, Gondoliere, Fischer, Eckensteher, Pappagallos, Träger, Schuhputzer, Austräger und Straßenfeger. Hermetisch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher