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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wußte niemand. Hier hatte sich Cravelli seinen Hafen gebaut, aus dem er, aus einer schwarzen Höhlung herausschießend, jederzeit ungehindert das Haus verlassen konnte.
    Oben, in der Tür des Arbeitszimmers, drehte sich die niedergeschlagene dunkle Gestalt ein paarmal auf dem Teppich, ehe sie sich aufrichtete und zunächst schwankend auf den Knien blieb. Es war Roberto Taccio, der immer wieder über sein angeschwollenes Gesicht strich und leise stöhnte. Dann, als er unter sich die Rufe und das Rammen gegen die Tür hörte, stand er mit zitternden Beinen auf und tastete sich durch das Zimmer zurück, die Treppe hinunter in die Halle. Dort schob er den Riegel zurück und wurde von der aufspringenden Tür zur Seite an die Wand geschleudert. Eine Flut von Bettlern ergoß sich in den Palazzo und kümmerte sich zunächst um Taccio, der wieder ohnmächtig neben einer Säule lag.
    Dieser Zeitverlust kam Cravelli zu Hilfe. Es waren nur Minuten, aber sie genügten, ihn der Freiheit näherzubringen. Er drückte den Gashebel herunter und umklammerte das Steuer. Mit einem kreischenden Aufheulen schoß das Boot vorwärts, hinaus auf den Canale Santa Anna und gegenüber in die schwarze Einfahrt eines Seitenarmes.
    Auf dem Canale Santa Anna war alle Musik erstorben. Das Boot Cramers schaukelte an die Treppe heran … er sprang auf die Steintreppe, als sich die Tür von innen öffnete. Dann rannte er mit langen Sprüngen in die Halle und sah Taccio ohnmächtig an der Wand liegen. Von oben, über die Treppe, brachten Bettler, die durch das Dach gedrungen waren, die Diener nach unten.
    »Wo ist Cravelli?« brüllte Cramer. Die Bettler sahen ihn ratlos an. »Wenn wir Cravelli nicht haben, ist alles halb! Sucht! Sucht! Er kann das Haus nicht verlassen haben –«
    Nach einigem Schütteln und einem Guß kalten Wassers über den Kopf schlug Taccio die Augen auf.
    »Weg Signore, weg –«, war das erste, was er sagte, als er Cramer über sich gebeugt sah. »Er hat mich niedergeschlagen, der Hund! Er kam so schnell –«
    Cramer ließ Taccio liegen und rannte hinaus. In dem Augenblick, in dem er wieder ins Boot sprang, hörte er ein helles Brummen. Weit hinten, aus einer schmalen Einmündung heraus, schoß ein Motorboot und bog in den Canale Santa Anna ein, um sich der Ausfahrt zum Canale Grande zuzuwenden.
    »Cravelli!« schrie Cramer. »Da fährt er! Da!« Er stieß den Bootsführer in den Rücken und klammerte sich an der Reling fest.
    »Wir müssen ihn bekommen! Fahr doch … mein Gott, fahr –«
    Mit aller Kraft trat der Bootsführer den Gashebel herunter und beugte sich über das Steuer. Der Motor heulte auf, ein heftiges Zittern durchbebte das Boot, dann packten die Schrauben das fest stehende Wasser, der Kiel hob sich hoch empor und klatschte wieder auf. Dann schoß das Boot vorwärts, flog über das Wasser und spritzte den Gischt über das ganze Deck.
    In rasender Fahrt folgte es dem anderen, über den Canale hüpfenden Boot.
    Hinter sein Steuer geklemmt, saß Sergio Cravelli und starrte vor sich über die aufspritzende Wasserstraße. Sein Boot schnellte durch das Wasser, die Schraube schlug kleine, rasend schnelle Wellen.
    Zunächst nach Chioggia, dachte er. Von dort wird sich immer eine Möglichkeit finden lassen, wegzukommen. Man konnte sich auch verkriechen. Es gab in Chioggia viele Schlupfwinkel, wie in einem Rattennest; es gab gute Freunde, die ihn verstecken konnten und die ihm in aller Ruhe eine weitere Flucht ins Ausland vorbereiten würden. Eines Tages, nachdem sich der Sturm gelegt hatte, würde dann ein Mr. Ralf Pearson an Bord eines Schiffes gehen und wegfahren, hinaus in die Welt, die wieder offen stand, hinaus in ein neues Leben.
    Cravelli wischte sich den Gischt aus dem Gesicht. Wie konnte es nur geschehen, dachte er plötzlich. Sie sind durch das Dach gekommen! Wer war die schwarze Gestalt? Sie haben Dr. Berwaldt befreit! Wer wußte, daß Berwaldt bei mir war? Wer hat ein Interesse an Berwaldt?
    Und dazu diese Musik! Diese herrliche Stimme! Dieser bezaubernde Wohlklang aus einer menschlichen Kehle.
    Cravellis Gesicht wurde bleich. Die Zusammenhänge wurden ihm plötzlich klar. Das Ablenken durch die Musik, das volle Orchester, das den Lärm auf dem Dach übertönen sollte, die Stimme, die ihn träumen ließ und glücklich machte wie damals beim Anblick Ilona Szökes …
    Durch Cravelli fuhr es wie ein Schlag. Ilona. Ihr Mann, der seit zehn Jahren zu ihm kommt, dieser Idiot Rudolf Cramer, war Sänger. Wenn auch
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