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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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Erstes Kapitel
     
    29. Juni 1761
    Schlosspark Schwetzingen
    Noch nie waren die Sterne so nah. Reflexartig streckte er seinen rechten Arm aus, um nach ihnen zu greifen. Als er mit den Fingern an das schwere Eisen des Quadranten stieß, holte ihn der Schmerz in die Wirklichkeit. Er machte einen Schritt zurück und schnappte nach Luft. Der Anblick des Universums hatte ihm den Atem geraubt.
    Es war erstaunlich, was die Wissenschaft zu leisten vermochte. Johann Christian von Mannlich verspürte den Drang, sofort ins Schloss zurückzulaufen, seinen Skizzenblock zu holen und das Gesehene zu zeichnen.
    Ein fernes Gewimmer riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und streckte seinen Kopf unter der beweglichen Abdeckung hervor, die über dem provisorischen Observatorium angebracht worden war. In einiger Entfernung entdeckte er eine torkelnde Gestalt. Mannlich erschrak. Eigentlich durfte er die Warte nur in Begleitung und darüber hinaus nur mit der Erlaubnis des Kurfürsten betreten. Doch seine Neugier für die Technologie war zu groß gewesen. Er erhoffte sich Impulse für seine Malerei.
    Jetzt wünschte er nur noch, dass man ihn nicht alleine in der Sternwarte entdecken würde.
    Die Gestalt stolperte weiter durch die mondklare Nacht auf ihn zu, fiel in ein Gebüsch und richtete sich wieder auf. Nein, dieser gebückte Gang, das konnte niemand vom Hofe sein. Die Tore des Schlossparks standen für jeden Bürger offen.
    Die Gestalt kam näher. Er erkannte, dass es ein Mann war. Und dass dieser einen schicken Rock von französischer Mode trug.
    Mannlich wich einen Schritt zurück. Es war der Kurfürst selbst! Ohne Begleitung und betrunken! Dass er alleine durch den Park spazierte, war nichts Außergewöhnliches. Der Herrscher liebte die Einsamkeit mehr als das laute Treiben bei Hofe. Aber alkoholisiert und ohne Kontrolle auf dem Schotterweg kriechend? Der Fürst war streng gläubig und verurteilte die Maßlosigkeit, so jedenfalls hatte Mannlich es bisher beobachten können.
    Der Landesherr war nur noch wenige Meter vom Observatorium entfernt und richtete sich mühsam vom Boden auf. Mannlich sprang hinter eine Kiste, um sich zu verstecken, wobei er sich das Schienbein anstieß. Er unterdrückte den stechenden Schmerz und rollte sich zusammen, um nicht gesehen zu werden. Er sah den Fürsten nun nicht mehr, hörte dessen unstete Schritte aber immer lauter. Als die Geräusche so nahe klangen, als stünde der Kurfürst mitten in der Sternwarte, zuckte Mannlich zusammen. Doch dann wurden die Schritte leiser. Der Maler erhob sich und sah sich um. Der Herrscher hatte die astronomische Beobachtungsstation verlassen und wankte den Weg entlang. Die Baustelle der Orangerie hatte er bereits hinter sich gelassen.
    Wohin wollte e? Mannlich trat von einem Fuß auf den anderen. Ob er dem Regent folgen sollte? Nicht aus voyeuristischen Gründen, selbstverständlich nicht. Aber konnte er den Herrn in diesem Zustand ohne Aufsicht umherziehen lassen?
    Mannlich beschleunigte seinen Schritt. Wohin war Carl Theodor entschwunden? Auf der Baustelle des Apollotempels fand er ihn wieder. Eigentlich war der gesamte Park zurzeit eine einzige Baustelle. Er schritt vorsichtig die in den Fels gehauenen Stufen empor, die zu der Plattform auf dem Felsplateau führten. Seit Wochen wurde an den Säulen des Tempels gearbeitet. Auf halber Höhe blieb er stehen und sah nach oben.
    Weinte der Kurfürst? Mannlich konnte nicht anders. Er musste die anderen Stufen hinaufgehen und nach Carl Theodor sehen. Als er an der Spitze angelangt war, entdeckte er ihn vor der gerade fertiggestellten Apollostatue liegend, mit dem Gesicht auf dem Boden.
    »Oh Apoll! Apoll, du Hund, du Gaukler. Warum hast du mich verlassen? Bin nicht ich du und du ich? Warum bin ich ganz ohne Geschick, wenn ich der Gott Apoll bin?«
    Mannlich stand wie erstarrt neben dem Kurfürsten. Er wusste, dass der Fürst sich wegen seiner Tätigkeit als Kunstmäzen gerne mit Apollo verglich. Trotzdem war er sprachlos. Nach etwa einer Minute räusperte er sich, um auf sich aufmerksam zu machen.
    »Kann ich Euch helfen, mein Fürst?«
    Carl Theodor drehte sich nicht um.
    »Mir ist nicht zu helfen. Verschwinde Er, wer immer Er auch ist!«
    »Von Mannlich bin ich, mein Fürst. Maler an Eurer Zeichenakademie. Mein Herr und Euer Neffe, der Herzog von Zweibrücken, hat mich zum Studium nach Mannheim gesandt.«
    »Ich weiß genau, wer Er ist – und nun verschwindet und lasst mich in Ruhe sterben!«
    »Seid Ihr
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