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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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auch sagen ‹Liebe machen›.«
    »Liebe machen« schien ihm der bessere Ausdruck.
    »Und wie macht man Liebe? Weißt du’s?«
    Angela sah ihn genervt an.
    »Ich weiß es, aber ich hab keine Lust, es dir zu erklären. Frag doch einen von deinen Freunden.«
    »Du bist meine beste Freundin.«
    Angela deutete mit dem Zeigefinger zwischen Nenès Schenkel und dann zwischen ihre.
    »Wenn der da in die hier reingeht, bedeutet das, man macht Liebe«, sagte sie schnell und verschluckte dabei fast die Wörter.
    Nenè sah sie verwirrt an. Was war das? Ein Rätsel? Was sollte das: da, hier? Er hatte überhaupt nichts kapiert.
    »Was heißt das?«
    »Ich habe es dir doch gerade erklärt.«
    »Aber … wozu soll das gut sein?«
    »Um Spaß zu haben und um Kinder zu machen.«
    »Aber wenn man so Kinder macht, warum ist es dann eine Todsünde?«
    »Es ist Sünde, wenn es zwei tun, die nicht verheiratet sind, oder wenn sie’s tun, ohne dass sie Kinder machen wollen.«
    Nenè dachte nach. Ihm war der Unterschied nicht klar. Da half nur, es auszuprobieren.
    »Zeigst du mir, wie man das macht?«
    Angela fing wieder an zu lachen.
    »Das geht nicht.«
    »Und wieso nicht? Weil es Todsünde ist?«
    »Nein, weil du’s nicht kannst.«
    »Aber du kannst es?«
    »Ich schon.«
    »Und wieso ich nicht?«
    »Weil deiner zu klein ist.«
    Nenè erstarrte.
    Plötzlich verschwand das Sonnenlicht vom Dachboden. Sie waren mit einem Mal am Nordpol, es herrschte arktische Kälte, und es war tiefe Nacht.
    Ja, das war der Grund, warum er beim Wettkampf mit den Jungen aus der dritten Klasse von vornherein ausgeschieden war! In einem alten, verlassenen Schwefellager hatten sie die Unterhosen heruntergelassen und Länge und Dicke gemessen und dann miteinander verglichen. Und er hatte nicht einmal mitmachen dürfen! Was für eine Schmach!
    Wieso hatte ausgerechnet er dieses furchtbare Schicksal zu tragen? Lieber wäre er mit einer Behinderung gestraft, seinetwegen mit zwei Buckeln, statt einen so Kleinen zu haben, dass er nicht einmal Liebe machen konnte!
    Erschöpft, ohne dass sich noch ein Muskel oder Nerv in ihm regte, glitt er langsam vom Sofa. Es fehlte nicht viel, und er wäre in Tränen ausgebrochen.
    »Was hast du denn?«, fragte Angela.
    »Nichts.«
    »Los, sag schon!«
    »Wenn du sagst, dass ich einen so Kleinen habe … bedeutet das doch, dass ich nie …«
    Er konnte nicht mehr an sich halten: Tränen so groß wie Erbsen rannen ihm über das Gesicht.
    »Was denkst du denn, du Dummkopf? Wenn du groß bist, hast du einen wie alle anderen erwachsenen Männer auch.«
    Es war durchaus möglich, dass Angela die Wahrheit sagte. Warum sollte sie ihn auch anlügen?
    Und plötzlich schien wieder die Sonne.
    »Schwörst du’s?«
    »Bei meiner Mutter.«
    Jetzt fühlte Nenè sich besser. Angela hatte einen feierlichen Eid geleistet. Er wollte sich gerade wieder aufs Sofa setzen, als ihm etwas einfiel. Regungslos stand er da.
    »He!«, rief Angela.
    Er hörte sie nicht. Das war es also, was die erwachsenen Männer mit den nackten Frauen in der Pension Eva machten!
     
    Eines Tages wurde Angela krank. Sie bekam nachts Fieber, und alle dachten, es sei eine Grippe, die nach drei, vier Tagen vorbeigehen würde.
    Doch das Fieber blieb, und Angela wurde ins Spital von Montelusa eingeliefert. Sie hatte etwas an der Lunge. Nach einer knappen Woche ohne Angela wurde Nenè traurig. Nicht nur, weil sie jetzt nicht mehr gemeinsam auf den Dachboden gehen konnten – das war ohnehin nicht mehr das Gleiche, nach dem, was der Pfarrer ihm erzählt hatte –, sondern weil er sie brauchte. Er sehnte sich nach ihrer Stimme, nach ihren Augen. Er wollte sie unbedingt sehen, und sei es nur für fünf Minuten, also fragte er seine Mutter, ob sie ihn das nächste Mal mitnehmen würde, wenn sie Angela besuchen ging. Doch seine Mutter sagte ihm, das solle er sich aus dem Kopf schlagen. Sie könne ihn nicht mitnehmen, Angelas Krankheit sei ansteckend.
     
    Es half alles nichts, er musste unbedingt in Erfahrung bringen, ob in der Pension Eva wirklich vor sich ging, was er glaubte!
    Schon seit einiger Zeit lernte er immer zusammen mit seinem Freund Ciccio Bajo, der in der Schule neben ihm saß, mal bei ihm zu Hause, mal bei sich. Über schmutzige Dinge hatten sie allerdings noch nie geredet.
    Eines Nachmittags, als sie wieder einmal zusammen über den Büchern hockten, flogen zwei Fliegen auf Ciccios Schulheft, und die eine setzte sich auf die andere. Nenè schlug mit flacher Hand auf die
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