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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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es ihr?«
    »Gesundheitlich geht es ihr gut. Aber ihr Mann ist ein elender Hund. Er ist tagsüber fast nie zu Hause und schlägt sich mit Kartenspielen auch die halben Nächte um die Ohren. Doch im Ort sagt man, dass Angela, wenn ihr Mann nicht da ist, Herrenbesuch empfängt. Sie setzt ihm die Hörner auf. Ich habe gehört, dass …«
    Es war wohl besser, das Thema zu wechseln.
    »Und was gibt es für Neuigkeiten von der Pension?«
    »Ich bin am Siebenundzwanzigsten nach Cammarata gefahren, musste aber am vierten Juli für einen Vormittag nach Vigàta. Die Pension war einen Tag zuvor zerbombt worden. Die beiden Jacolinos waren da, Vater und Sohn, und sie weinten. Sie haben mir gesagt, dass Signora Flora und die Mädchen in Sicherheit sind. Sie hatten sich in den Luftschutzraum retten können.«
    »Und wo sind sie jetzt?«
    »Ich weiß es nicht. Ist der Ziegel schon heiß?«
    »Ich glaube, er braucht noch ein bisschen. Ich will dir etwas erzählen, was mir in Ràghiti passiert ist. Aber du darfst es niemandem weitersagen.«
    »Mein Ehrenwort.«
    »Der Baron und Siria leben.«
    Ciccio, der sich ausgestreckt hatte und die Sterne beobachtete, fuhr hoch und stützte sich jetzt auf die Ellbogen. Im Schein des Feuers sah Nenè, wie verblüfft sein Freund war.
    »Was sagst du da?«
    Nenè erzählte ihm die ganze Geschichte, und sie prusteten los.
    »Es ist ja auch möglich, dass …«, fing Ciccio an. Ihm war plötzlich ein Gedanke gekommen.
    »Was?«
    »Dass Lulla und Giugiù die gleiche Idee hatten.«
    »Wieso? Sind sie etwa nicht von ihrer Bootsfahrt zurückgekommen?«
    »Nein, wir waren die Letzten, die die beiden gesehen haben. Vielleicht sind sie hier an Land gegangen und dann abgehauen.«
    »Hat man denn das Boot gefunden?«
    »Nein. Aber das ist ja kein Wunder bei dem Chaos, das da draußen auf dem Meer herrscht …«
    Wieder mussten sie lachen. Sie hatten gar nicht gemerkt, dass sie die erste Flasche bereits ausgetrunken hatten. Gut gelaunt legten sie die ersten Sardinen auf den glühenden Ziegel, die nach kurzer Zeit gar waren. Schweigend aßen sie.
    Essen, trinken, der Brandung lauschen, mit dem besten Freund, den man eben wiedergefunden hat: Was gab es Schöneres im Leben?
    Der Krieg war vorbei, und schon jetzt war er nicht mehr als eine vage Erinnerung, fast als hätte er gar nicht stattgefunden. Vielleicht hatten sie ihn nur geträumt?
    Mit einem Mal hielten sie inne und blickten sich im Schein des Feuers an. Beide stellten sie sich dieselbe Frage: Wieso schmeckten die Sardinen nach Minze, Zimt und Gewürznelken?
    Sie hatten sich geirrt. Lulla und Giugiù waren nicht mehr an Land gegangen. Sie waren aufs Meer hinausgefahren, um dort gemeinsam zu sterben.
    Ciccio widmete sich wieder seiner Sardine. Aber Nenè rührte sich nicht.
    »Los jetzt, Nenè, nun iss, was können wir schon tun? Außerdem haben die Sardinen ein ausgezeichnetes Aroma.«
     
    Gegen drei Uhr morgens kehrten sie in die Stadt zurück. Sie hatten alle Sardinen aufgegessen und die drei Weinflaschen geleert. Immer wieder fielen sie fast von ihren Rädern, weil sie so betrunken waren. Als sie an dem Schutthaufen ankamen, der einmal die Pension Eva gewesen war, stiegen sie ab und setzten sich auf einen der verkohlten Balken. Ciccio zog ein Päckchen amerikanischer Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Nach einer Weile sagte Nenè:
    »Gib mir auch eine.«
    Und er rauchte die erste Zigarette seines Lebens.

Anmerkung des Autors
    Dieser Roman ist ein erzählerischer Ausflug, den ich kurz vor Vollendung meines achtzigsten Lebensjahres unternommen habe.
    Die Pension Eva ist kein historischer Roman und kein Kriminalroman. Glücklicherweise kann man dieses Buch nicht genau einordnen. Es liest sich ein bisschen leichter als meine übrigen Romane, und auch der Titel ist anders. Die Pension Eva ist nicht autobiographisch, auch wenn die Hauptfigur den Namen trägt, den ich früher bei meiner Familie und meinen Freunden hatte. Der historische Kontext ist authentisch, und die Pension Eva hat es wirklich gegeben. Die Begebenheiten, von denen ich erzähle, und die Namen derer, die sich dort begegnen, sind allerdings frei erfunden.
    A.C.

Aus folgenden Werken wurde zitiert:
    Ludovico Ariost, Der rasende Roland, Winkler, München 1980.
     
    Marcel Proust, Im Schatten junger Mädchenblüte, aus: Werke, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1995.
     
    Arthur Rimbaud, Sämtliche Dichtungen, Lambert Schneider, Heidelberg 1960.
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