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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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nachzusehen, wie es darunter aussah!
     
    Als er zwölf war, erlaubte seine Mutter ihm endlich, auf den Dachboden zu klettern und mit den alten Sachen, die dort herumlagen, zu spielen. Vorher hatte sie ihm die immer gleiche Antwort gegeben:
    »Nein, du bist noch zu klein, du könntest dir wehtun.«
    Glücklich berichtete Nenè Angela davon, die im selben Haus wohnte wie er und so lange herumzeterte, bis auch sie mitdurfte.
    Auf dem Dachboden schreckten sie die Tauben auf, die sich dort niedergelassen hatten. Sie schlugen heftig mit den Flügeln und wirbelten dabei so viel Staub auf, dass Nenè meinte zu ersticken. Was für ein Plunder! Was für ein Durcheinander! Alte Möbel, kaputte Stühle, Jutesäcke, vollgestopft mit Papier, Säcke mit Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, Koffer, in denen die Kleider und Anzüge der längst verstorbenen Großeltern und Urgroßeltern ordentlich zusammengelegt waren, andere mit Priestergewändern, ein Pianola, das noch funktionierte, Porzellanpuppen, denen ein Fuß fehlte oder eine Hand, mit Kordeln zugeschnürte Koffer, kleine Wasserkrüge, große Tonkrüge, Strumpfbänder, zwei Säbel, ein Fotoapparat mit Stativ und Haube, Vasen, Petroleumlampen und sogar ein riesiges Wandtelefon und ein demoliertes Grammophon.
    All das beflügelte Nenès Phantasie, der mit fünf Jahren lesen gelernt hatte und schon die Romane von Emilio Salgari kannte.
    Mit ein paar Kleidern und bunten Tüchern verkleidete sich Angela mal als Perle von Labuan, mal als Tochter des Schwarzen Korsaren, während er mal zu Sandokan, mal zu Yanez wurde, am häufigsten verkleidete er sich als Tremal-Naik, den großen Tigerjäger. Im Nu hatte sich der Dachboden in einen geheimnisvollen, gefährlichen Ort verwandelt, wie Mompracem. Die Vorstellung, dass der Säbel und die Pistole, die er in Händen hielt, echte Waffen waren, die irgendwann einmal im Krieg zum Einsatz gekommen waren, ließ ihn vor Freude ganz außer sich sein.
    Eines Tages entdeckten sie einen schwarzen Koffer, den sie bisher übersehen hatten. Er musste Onkel Antonio gehört haben, der Arzt gewesen war. Inmitten zahlloser stinkender Arzneifläschchen fanden sie ein hölzernes Stethoskop, das noch die Form einer Hörmuschel hatte, und ein Thermometer.
    »Also, ich bin der Arzt und du bist meine Patientin, und ich muss dich untersuchen«, sagte Nenè, als er die beiden Instrumente sah.
    »O ja!«, rief Angela begeistert.
    Und sie legte sich auf das verstaubte Sofa, das wackelte, weil ihm ein Fuß fehlte. Sie schoben einen Stapel Bücher darunter, damit es fest stand.
     
    Von da an stiegen sie oft auf den Dachboden und spielten dort immer Arzt und Patient.
    Bei der dritten Untersuchung zog Angela sich Kleid und Schlüpfer aus, ohne dass Nenè sie darum gebeten hätte. Sie sagte keinen Ton, während er sie abtastete und mal auf den Bauch, mal auf den Rücken drehte. Irgendwann sagte Angela, während sie sich wieder anzog, mit entschlossener Stimme:
    »Morgen machen wir’s umgekehrt.«
    »Wie meinst du das?«
    »Dann bist du der Patient und ich die Krankenschwester.«
    Am nächsten Tag eilte Nenè, kaum dass sie auf den Dachboden geklettert waren, zum Sofa und legte sich auf den Rücken.
    »Zieh dich aus«, sagte Angela.
    Er spürte, wie er rot wurde, und rührte sich nicht. Es hatte ihm besser gefallen, als Angela sich ausgezogen hatte. Er versuchte, mit ihr zu verhandeln.
    »Alles?«
    »Alles«, befahl die Cousine streng.
     
    Angela ließ ihn von da an nicht mehr den Arzt spielen, Nenè war jetzt immer der Patient. Er merkte allerdings bald, dass der Rollentausch ihm eigentlich recht war; denn es gefiel ihm sehr, wenn Angela ihn anfasste, vor allem, wenn sie ihm das Thermometer zwischen die Pobacken klemmte.
    Und als dann die Junihitze den Dachboden in einen Glutofen verwandelte, sodass sogar die weißen Tauben die Flucht ergriffen, machte die Krankenschwester es sich zur Angewohnheit, sich ebenfalls die Kleider auszuziehen und neben Nenè zu legen. So kam es, dass ihre Lippen sich zuerst hauchzart und fast wie zufällig berührten, dann aber lange aufeinander ruhten.
    Damit veränderte sich alles. Das Spiel wurde ernst. Sie umarmten sich, küssten sich wild und bissen einander blutig, sie streichelten und kratzten sich, leckten sich, umwanden sich wie zwei Schlangen oder glitten am anderen ab wie zwei Fische, und ihre Haut schäumte vor Schweiß.
    Wie ist es möglich, fragte sich Nenè, als sie eine kurze Pause machten, um wieder zu Atem zu kommen,
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