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Die Legende der Wächter – Der Zauber

Die Legende der Wächter – Der Zauber

Titel: Die Legende der Wächter – Der Zauber
Autoren: Kathryn Lasky
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„He, schaut mal her!“, rief der Bartkauz. Sein Gefieder glänzte im Mondschein wie Silber, als er erst eine scharfe Wende flog, dann die Flügel eng anlegte und über den schäumenden Wellen in den Sturzflug ging. Doch ehe das Meer ihn verschlingen konnte, schoss er wieder himmelwärts und zog eine Gischtbahn hinter sich her wie einen Kometenschweif. Triumphierend rief er seinen Freunden zu: „Und da heißt es immer, Möwen könnten das besser – von wegen!“
    Gylfie wechselte einen Blick mit Soren. Digger seufzte und tschurrte belustigt: „Wir wissen ja wohl alle, was jetzt kommt, oder?“
    „Oh ja!“, erwiderten Soren und Gylfie wie aus einem Schnabel. Da schmetterte Morgengrau auch schon drauflos:
    Was für ein Spaß –
    Ich werd nicht mal nass!
    Eine Prachteule bin ich!
    Das Wasser bezwing ich.
    Den Wind tricks ich aus.
    Ich schneidiger Kauz!
    Um diese Jahreszeit waren die Winde launisch. Die vier Freunde vertrieben sich die Zeit damit, in die unberechenbaren Böen über der Insel Hoole hinein- und wieder hinauszufliegen und sich von ihnen aufwärts und abwärts tragen zu lassen. Eulen kennen nichts Schöneres, als mit der Luft und dem Wind zu spielen. Die Freunde waren Meister in dieser Kunst.
    Obwohl der Winter bevorstand – die weiße Zeit, wie die Eulen von Ga’Hoole sagten –, stand der Große Baum noch in sommerlich goldener Pracht. Er hatte sein Aussehen nicht mehr verändert, seit der neue König Coryn vor mehreren Mondzyklen die Glut von Hoole aus dem Vulkan geborgen hatte.
    Soren betrachtete den Großen Baum sorgenvoll. Ihn beunruhigte aber nicht so sehr der Umstand, dass der Baum den Jahreszeiten trotzte, sondern die Tatsache, dass sich sein geliebter Neffe Coryn in seine Höhle zurückgezogen hatte und grübelte. Die Königswürde war für den jungen Eulerich eine schwere Bürde. DochSoren wusste, dass die Glut für Coryn eine noch weit größere Last war.
    Der junge König saß in seiner schlicht eingerichteten Baumhöhle und war in den Anblick der Glut von Hoole versunken. Sie leuchtete rötlich, nur in der Mitte flackerte sie blau mit einem grünen Saum. Sie war kein gewöhnliches Glutstück, und die Bilder, die sie Coryn offenbarte, waren ebenfalls nicht gewöhnlich.
    Coryn war ein Feuerseher, aber in der Glut zu lesen war für ihn eine echte Herausforderung. Genau wie die Bilder, die er sonst in den Flammen sah, ließen sich auch die Bilder in der Glut nicht herbeizwingen. Allerdings waren sie viel eindringlicher als seine früheren Visionen, oft aber auch verzerrt und nicht immer vertrauenswürdig.
    Doch was der junge Schleiereulerich nun sah, ließ sein Herz schneller schlagen und seinen Muskelmagen erzittern. In dem blauen Flackern leuchtete ein weißer Fleck auf, der immer größer und runder wurde. Wie ein Mond, dachte Coryn. Oder wie … aber was ist das? Zieht sich da etwa ein Riss über die weiße Scheibe? Wie … wie eine Narbe … wie meine eigene Narbe.
    Nein … wie NYRAS Narbe!

„Du machst ja ein Gesicht, als hättest du einen Geisterschnabel gesehen, Coryn!“
    Es war Mittag. Die meisten Eulen im Großen Baum schliefen längst. Coryns Onkel und Oberster Berater Soren stattete seinem Neffen einen Besuch ab.
    Coryn blickte flüchtig von dem tränenförmigen Glutbehälter auf, den der Schmied Bubo angefertigt hatte. „Schön wär’s! Leider ist sie kein Geisterschnabel.“
    Sie? Dann geht es mal wieder um Nyra , dachte Soren. Seit Coryn die Glut geborgen und das Heer der Reinen vernichtend geschlagen hatte, war Nyra nicht mehr aufgetaucht. Sie war aber nicht in der Schlacht gefallen, sondern hatte fliehen können. In den Augen der meisten Eulen war sie trotzdem so gut wie tot. Schließlich befehligte sie keine Streitmacht mehr und nicht sie, sondern ihr Sohn Coryn war im Besitz der Glut. Trotz seiner Jugend war er ein kluger, umsichtiger Herrscher. Doch die Furcht vor seiner Mutterverfolgte ihn immer noch. Das würde wohl auch so bleiben, ob Nyra nun tot war oder noch am Leben.
    Als Soren seinen Neffen liebevoll betrachtete, gab es ihm einen Stich in den Magen. Die Narbe, die Coryns Gesicht diagonal in zwei Hälften teilte, zuckte krampfhaft. Seine eigene Mutter hatte ihm diese Wunde zugefügt.
    Soren konnte den Anblick nicht ertragen. Er würde seinen Neffen hier und jetzt auf seine Ängste ansprechen. Vielleicht tat es Coryn ja gut, sie einmal in Worte zu fassen.
    „Hör zu, Coryn. Es ist überhaupt nicht bewiesen, dass sie noch lebt. Und wenn doch, so
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