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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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hielt er einen Schwamm, vor ihm standen eine Schüssel mit Wasser und eine Schuhschachtel mit Dollar-Noten. Das Mädchen hatte die Augen geschlossen, die Arme ausgestreckt und die Beine gespreizt. Sie wirkte wie tot, sie bewegte sich nur, wenn ihr der amerikanische Soldat, der auf ihr lag, einen weiteren Stoß verpasste. Sie verjagte nicht einmal die Fliegen, die sich auf ihr Gesicht setzten. Auch als der Mann mit dem Hut den Dollar-Schein des Soldaten entgegennahm und ihr mit dem Schwamm kurz über die Stelle zwischen ihren Beinen ging, bewegte sie sich nicht.
     
    Die Stadt lag in Trümmern, war aber nicht völlig zerstört, wie der Matrose Nenè gesagt hatte. Das Haus seiner Eltern war unversehrt, während das auf der gegenüberliegenden Straßenseite dem Erdboden gleichgemacht worden war. Nenè schloss die Tür auf und sah sich um. Auf wunderliche Weise war nichts zu Schaden gekommen.
    Er ging hinunter zum Hafen mit den zahllosen Motorbooten, die, sobald sie festen Boden unter sich hatten, zu Lastwagen wurden und die Straßen in Wasser und Schlamm verwandelten. Am Hafen stand auf einer Art Podest ein Soldat mit einem Fähnchen in jeder Hand und regelte den Verkehr.
    Da entdeckte Nenè seinen Vater. Sein Herz schlug schneller. Er sah seinen Vater, wie er da stand und mit zwei amerikanischen Marineoffizieren sprach, und dachte, dass sie noch einmal davongekommen waren. Sie hatten es geschafft.
     
    Auf dem Weg nach Hause kam Nenè an der Stelle vorbei, wo die Pension Eva gewesen war. Er erkannte erst gar nicht, wo er war. Auch das Holzlager und das Haus links daneben waren zerstört worden; dort war nur ein großer Schutthaufen zu sehen. Er erschrak, doch nach allem, was er gesehen hatte, fehlte ihm die Kraft, traurig zu sein.
    Als er über den Marktplatz vor dem Rathaus ging, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Er drehte sich um und sah Ciccio. Sie stürmten aufeinander zu und riefen laut den Namen des anderen, als lägen Kilometer zwischen ihnen. Sie umarmten sich so fest, dass sie einander beinahe erstickten.
    »Seit wann bist du hier?«, fragte Ciccio.
    »Seit einer Stunde, ich bin mit dem Fahrrad gekommen. Und du?«
    »Seit gestern. Lass uns heute Abend zusammen essen. Dann können wir uns alles erzählen und unser Wiedersehen feiern.«
    »Gerne. Aber was gibt es denn zu feiern, außer dass wir am Leben sind?«
    Ciccio war sprachlos.
    »Aber ist denn heute nicht dein achtzehnter Geburtstag?«
    Nenè schlug sich an die Stirn.
    »Stimmt ja! Weißt du, dass ich das völlig vergessen habe? Wohin wollen wir gehen?«
    »Am besten raus aus der Stadt. Hier ist es zu heiß, und überall riecht man den Tod. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Ich hole dich um acht mit dem Fahrrad ab.«
    Ciccio hatte recht: Zunächst war es Nenè gar nicht aufgefallen, aber jetzt nahm er den Geruch des Todes deutlich wahr. Bei der großen Hitze verwesten die Leichen unter den Trümmerhaufen schnell.
    Ciccio kam um acht Uhr. Auf dem Gepäckträger hatte er eine Kiste frische Sardinen, und am Lenker hing ein Beutel mit drei Flaschen Wein.
    »Nimm du den Wein, ich kann sonst nicht richtig treten. Unterwegs müssen wir noch einen Nonnenziegel für das Feuer finden.«
    »Das dürfte nicht schwer sein, bei all den zerstörten Häusern. Wohin fahren wir?«
    »Zur Scala dei Turchi. «
    Als sie am Fuß der Scala ankamen, war die Sonne schon fast untergegangen. Der Strand war menschenleer, und im Wasser wimmelte es von Kriegs- und Transportschiffen, die die Sicht auf den Horizont versperrten. Eine Weile lagen die beiden im Sand, dann suchte Ciccio ein paar Steine für das Feuer zusammen, während Nenè trockene Zweige sammelte. Am Ufer legten sie die Steine in einen Kreis. Ciccio schichtete ein paar Zweige übereinander, zündete sie an und legte den Nonnenziegel, der inzwischen wieder sauber war, weil Nenè ihn in die Brandung gelegt hatte, mit der Wölbung nach oben darauf. Jetzt mussten sie nur noch warten, bis der Ziegel heiß wurde. Sie entkorkten eine Flasche.
    Die Nacht war mild, kein Lüftchen regte sich. Nur das leise Geräusch der Dünung war zu hören.
    »Eigentlich haben wir uns ja nur zwei Wochen nicht gesehen. Aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit«, sagte Ciccio. »Wie ist es dir in Ràghiti ergangen?«
    »Schlecht.«
    Und er erzählte ihm, was er in den letzten Tagen erlebt hatte.
    »Und wie war es in Cammarata?«
    »Eigentlich gut. Und weißt du was? Ich habe Angela getroffen, deine Cousine.«
    »Ach, wirklich? Wie geht
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