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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet
Autoren: Jakob Arjouni
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    Slibulsky und ich klemmten im leergeräumten Geschirrschrank eines kleinen brasilianischen Restaurants am Rand des Frankfurter Bahnhofsviertels und warteten auf Schutzgeldeintreiber.
    Der Schrank war etwa ein Meter zwanzig breit und siebzig Zentimeter tief. Weder wegen Slibulsky noch mir mußte sich die Kleiderindustrie Sorgen um den Absatz ihrer xl-Größen machen, außerdem trugen wir kugelsichere Westen und wollten im Ernstfall eine Pistole und ein Schrotgewehr wenigstens so in Position bringen, daß wir uns nicht die eigenen Füße oder Köpfe wegschossen. Ich malte mir aus, wie die Schutzgeldeintreiber das Restaurant betraten, wie nach einer Weile aus der Ecke klägliche Rufe ertönten und wie sie die Schranktür öffneten, um zwei eingequetschte Vollidioten zu betrachten, die hilflos mit Armen und Beinen strampelten. Und ich stellte mir Romarios Gesicht dabei vor. Er war der Eigentümer und Wirt des >Saudade< und hatte mich um Hilfe gebeten.
    Ich kannte Romario seit seinen ersten gastronomischen Schritten als Betreiber einer Imbißbude in Sachsenhausen. Bis heute war es bei einer Bekanntschaft geblieben. Ich freute mich, daß es ihn gab, wenn ich pleite war und er mir einen Teller Essen spendierte. Nicht so sehr freute ich mich, wenn ich Geld hatte und ihm in einer Kneipe begegnete und er sich zu mir an den Tisch setzte und wir über irgendwas reden mußten, eben weil wir uns kannten. Wenn die Aktion dieses Abends also unter Freundschaftsdienst lief, dann vor allem, weil Romario mir keine Bezahlung angeboten hatte und ich sie nicht wirklich verlangen konnte.
    Kurz nach Mitternacht. Vor einer halben Stunde hatten wir die Stellung bezogen, und seit etwa zwanzig Minuten hielten meine Beine ein Nickerchen. Für Anfang Mai war es außergewöhnlich warm. Tagsüber stiegen die Temperaturen bis auf siebenundzwanzig Grad, nachts sanken sie nicht unter fünfzehn. Was Romario nicht davon abhielt, seine Heizungen bis zum Anschlag aufzudrehen - aus Gewohnheit und weil die Schimpferei übers deutsche Wetter so was wie eine seiner letzten Brücken nach Brasilien war. Seit zwanzig Jahren lebte er in Frankfurt, fuhr in den Ferien an die Cóte d’Azur, und ob zerkochtes Hühnchen in saurer Soße oder trockene Schweinekoteletts mit Dosenerbsen typisch brasilianische Spezialitäten sind, wußte ich zwar nicht, aber es war dem Land zumindest nicht zu wünschen. Jedenfalls konnte die ganze Stadt im T-Shirt unterwegs sein und seine Kundschaft an Hitzschlag verrecken, Romario bestand darauf, daß es in Deutschland dauernd kalt sei, während in Brasilien immer die Sonne scheine - allgemein schlechte und allgemein gute Laune inbegriffen.
    Es gab also nichts zu verdienen, ich spürte meine Beine nicht mehr, die Temperatur im Schrank erreichte Dschungelgrade, und dann gab es noch von Zeit zu Zeit dieses kaum hörbare Zischen.
    »Slibulsky?«
    »Hmhm?« Nett, unbeteiligt. Zwischen seinen Zähnen klickte ein Bonbon.
    »Was hast du zu Abend gegessen?«
    »Zu Abend…? Wieso? Weiß nicht mehr.«
    »Du weißt nicht, was vor ein paar Stunden vor dir auf dem Teller lag?«
    Er räusperte sich, so wie andere kurz vor sich hin pfeifen oder in die Luft gucken, um zu zeigen, daß die Frage, die sie versuchen werden, freundlich zu beantworten, sie selbstverständlich einen Dreck interessiert.
    »Tja. Mal überlegen… Ach ja, genau: Handkäs. Na klar, Gina war heute morgen einkaufen und…«
    »Mit Zwiebeln.«
    »Klar, mit Zwiebeln. Ißt du Handkäs vielleicht mit Erdbeeren?«
    Ich bemühte mich, ihn durch das Halbdunkel im Schrank möglichst verachtend anzuschauen.
    »Hab ich dir nicht gesagt, daß wir eine Weile gemeinsam in diesem Loch verbringen werden?«
    »Doch, du hast davon geredet, glaub schon. Allerdings hatte ich den Schrank irgendwie größer in Erinnerung.«
    »So? Wie groß? Ich meine, wie groß muß ein Schrank sein, damit zwei, von denen der eine sich kurz davor den Bauch mit Zwiebeln vollgeschlagen hat, unbelästigt drin atmen können?« In dem bißchen Licht, das durch Schlüsselloch und Ritzen fiel, sah ich, wie Slibulsky eine Grimasse zog. »Ich denke, wir sind hier, um irgend ‘ne Mafia zu verjagen? Mit Knarren und kugelsicheren Westen, wie richtige Kerle. Aber vielleicht möchte Fräulein Kayankaya statt des Detektivbüros lieber einen Frisörsalon betreiben?«
    Was sollte man darauf antworten? Am besten man sagte nichts. Ich sagte: »Mir läuft der Schweiß übers Gesicht, auch in den Mund, und ich hab das Gefühl, dein
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