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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe
Autoren: Dick Francis
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    Kundschaft gab
es in allen möglichen Varianten, vom Schulkind, das Kartoffelchips und Cola
kaufte, weil mein Laden direkt an der Bushaltestelle lag, bis zu den Sergeants
der örtlichen Kaserne; von Rentnern, die verschämt für einen Tropfen Gin sparten,
bis zu den bewußten Genießern, die Portwein verlangten. Kunden kamen einmal im
Jahr und auch täglich, als Unwissende oder Kenner, des Frohsinns und des
Trostes wegen, in Schwermut und in Trunkenheit. Die Kundenskala reichte von
süßlich bis bitter, wie ihre Getränke.
    Mein vornehmster Kunde an diesem kalten
Oktobersonntagmorgen war ein Pferdetrainer, der traditionsgemäß zur Feier der
Flachrennen, die sein Stall auch in der auslaufenden Saison wieder gewonnen
hatte, Schampus für rund hundert Gäste strömen ließ. Jeden Herbst, wenn sein
Name oben auf der Erfolgsliste stand, bedankte er sich mit einer Einladung bei
seinen Besitzern, seinen Jockeys, seiner weitverzweigten Bekanntschaft, um die
Genugtuung über vergangene Freuden mit ihnen zu teilen und die Weichen für den
Neubeginn im kommenden Frühjahr zu stellen.
    Jeden September rief er in seinem ewig gehetzten
Zustand an: »Tony? Sonntag in drei Wochen, ja? Wie gehabt, wieder im Zelt. Sie
stellen die Gläser? Und in Kommission natürlich, ja?«
    »Ja«, sagte ich dann, und fort war er, bevor ich
Luft holen konnte. Seine Frau Flora würde später ins Geschäft kommen, um
lächelnd die Einzelheiten nachzureichen.
    Entsprechend fuhr ich an diesem Sonntag um zehn zu
ihm nach Hause und parkte, so nah es ging, bei dem großen, ehemals weißen
Festzelt, das straff gespannt auf dem Rasen stand. Er kam aus dem Haus
gespurtet, sowie ich anhielt, weil er wahrscheinlich schon nach mir Ausschau
gehalten hatte: Jack Hawthorn, um die Sechzig, klein, dick und clever.
    »Tony. Hervorragend.« Er klopfte mir leicht auf die
Schulter. Das war seine übliche Begrüßung, denn er umging gewohnheitsmäßig den
Brauch des Händeschüttelns. Nicht aus Furcht vor den ansteckenden Bazillen
anderer Leute, wie ich ursprünglich einmal angenommen hatte. Eine spitzzüngige
Turfnärrin hatte mich belehrt, er habe »Hände wie eine frisch aufgetaute
Qualle« und sähe es ungern, wenn sich Leute, die ihn anfaßten, danach die Handteller
an ihren Kleidern abwischten.
    »Ein guter Tag zum Feiern«, sagte ich.
    Er blickte kurz zum Himmel. »Wir brauchen Regen.
Der Boden ist wie Beton.« Pferdetrainer waren, genau wie Farmer, mit dem Wetter
nie zufrieden. »Haben Sie auch alkoholfreie Sachen dabei? Der Scheich kommt mit
seinem ganzen abstinenten Anhang. Hatte ich vergessen.«
    Ich nickte. »Champagner, Softdrinks und eine Kiste
Allerlei.«
    »Gut. Fein. Ich überlasse Ihnen das. Die
Serviererinnen kommen um elf, die Gäste um zwölf. Und Sie bleiben doch auch?
Als mein Gast natürlich. Versteht sich von selbst.«
    »Ihr Sekretär hat mir eine Einladung geschickt.«
    »Hat er? Donnerwetter. Welch ein Überblick. Alles
klar. Wenn Sie was brauchen, kommen Sie zu mir.«
    Ich nickte, und wie üblich hastete er davon; er
nahm das Leben im Trab. Trotz des Sekretärs, eines etwas trägen Mannes mit
stolzer Nase und einem unermüdlichen Talent zu präziser Kleinarbeit, konnte
Jack mit dem, was er tun wollte, nie so ganz Schritt halten. Flora, seine
seelenruhige Frau, hatte mir erklärt: »Es ist Jimmy (James, der Sekretär), der
die Pferde für die Rennen meldet, Jimmy, der die Rechnungen verschickt, Jimmy,
der allein den vielen Schreibkram erledigt; Jack braucht noch nicht einmal eine
Briefmarke anzufassen. Diese ganze Hast ist Gewohnheit, Reine Gewohnheit.« Aber
sie hatte liebevoll gesprochen, so wie jeder, mehr oder weniger, von Jack
Hawthorn sprach. Und vielleicht war es gerade die pralle Energie dieses Mannes,
die sich seinen Pferden mitteilte und ihnen zum Sieg verhalf. Er lud mich immer
zu seinen Festen ein, ob offiziell oder nicht. Einesteils wohl, damit ich zur
Stelle war, falls Probleme in der Alkoholzufuhr auftauchten, aber auch, weil
ich selbst in eine Ecke der Rennwelt hineingeboren war und immer noch als
dazugehörig galt, trotz meines unerklärlichen Übertritts zum Spirituosenhandel.
    »Kein Sohn seines Vaters«, wie es die Intoleranten
ausdrückten. Oder direkter: »Nichts vom Schneid der Familie.«
    Mein Vater, ein Soldat, hatte sowohl den
Kriegsverdienstorden als auch den Military Gold Cup errungen, war ebenso
heldenhaft über Hindernisse gestürmt wie in feindliches Gebiet. Seine
Tapferkeit auf allen Kampfplätzen hatte
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