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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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jetzt passiert's.“ Er
sprang auf, gebannt von dem Anblick, der sich bot, von dem Drama am Anfang des
Films. Es knallte, als die Bootskörper zusammenstießen, die Segel, wie befreit,
schlugen und flatterten, sie ließen sich nicht rasch bergen, stiegen einmal
auf, peitschten, niedergedrückt, über die Bootskörper, mit einer Gewalt, die
einen der außenbords hängenden Segler mitriß, einfach wegwischte. Es dauerte
eine Weile, bis er auftauchte, schwimmend seinem davontreibenden Boot nachblickte,
immer wieder eine Hand hochriß, doch das Boot trieb davon, der anderen,
schnelleren Jolle hinterher, deren Segler das Unglück nicht bemerkt zu haben
schien, denn er drehte nicht gleich bei. Plötzlich aber hatte er wohl den im
Wasser Kämpfenden entdeckt, er wendete, nahm Fahrt auf, hielt auf den
Schwimmer zu, doch der Wind vereitelte die Rettung. - Der Schwimmer tauchte ab,
ließ sich überlaufen.
    „Und dies“, sagte ich, „dieser Augenblick genügte,
um Vincent handeln zu lassen.“
    „Für den Mann mit den Ohrringen war es das Motiv“,
sagte Voss. „Meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß jede nennenswerte Handlung
ein Motiv hat.“ Vincent warf seine Jacke ab - eine Jacke mit großen Taschen -,
watete ins Wasser, erreichte mit kräftigen Schwimmstößen den Hilflosen, wehrte
seine Versuche, zu klammern, ab und zog ihn an Land. Für diese Rettungstat gab
es mehrere Augenzeugen.
    Es war kein namenloser Schüler, den Vincent
gerettet hatte, Anton Viersen war der Sohn eines bekannten Unternehmers, der,
angesehen auch bei internationalen Linien, Schiffsproviant herstellte und
lieferte. Arnold Viersen, der Vater des Verunglückten, erfuhr noch am gleichen
Tag von dem Unglück, das so gut ausgegangen war, und um dem Retter zu danken,
lud er ihn in sein Haus ein, nicht zur Mittagszeit, sondern gegen Abend.
    Nie zuvor hatte Vincent ein so weiträumiges,
schilfgedecktes Landhaus betreten. Die blaugestrichene Eingangstür war mit
allegorischem Schnitzwerk verziert, die langen verwinkelten Gänge, von denen
die Zimmer abgingen, ließen annehmen, daß man sich nicht allzuoft begegnete.
Den größten Eindruck machten auf Vincent zwei Ölgemälde am Ende des
Hauptganges; es waren Stilleben, auf einem waren Fische mit Zitrone dargestellt,
auf dem anderen ein toter Hase mit Weintrauben. Eine tiefe Stimme bat ihn,
weiterzukommen, es war die Stimme von Arnold Viersen, und Vincent war
überrascht, einem kleinwüchsigen Mann zu begegnen, der am Stock ging und der
ihm bei der Begrüßung die Hand auf die Schulter legte und dabei Dankesworte
murmelte.
    „Im Film“, sagte ich, „wird sofort deutlich, daß es
eine Begegnung zweier ungleicher Männer ist.“
    „Signalwirkung“, sagte Voss, „was gezeigt wird,
existiert ja nicht nur für sich, es hat auch eine unmittelbare Signalwirkung,
nicht zuletzt die Hand auf der Schulter; das vorausgegangene Ereignis
rechtfertigt diese Geste.“ Ein adrett gekleidetes Hausmädchen meldete, daß das
Abendessen serviert sei, und die Männer gingen in das Speisezimmer. Hier
wiederholte Arnold Viersen seinen Dank und schenkte Wein ein. Nachdem sie
getrunken hatten, sagte Vincent: „Chardonnay Premier Cru, das Beste zu
gegrilltem Lachs.“ Verblüfft schaute Viersen seinen Gast an, äußerte sich aber
nicht. „Diese Kennerschaft wird später begründet“, sagte Voss - und zwar
während des Essens, als Viersen den Vornamen Vincent erwähnte und bedachte und
erfuhr, daß sein Vater einmal Soldat gewesen war, einfacher Soldat, Bursche
eines Generalleutnants, der Vincent von Kluckhohn hieß. Auch er, Vincent, sei
einmal Soldat gewesen, vorübergehend bei einem Major. Schmunzelnd sagte er: „Als
Bursche lernt man viel mehr als Stiefelputzen.“
    Das Gespräch während des Essens wird zur
Schlüsselszene. Nachdem sie eine zweite Flasche geleert und Vincent sich lobend
und kennerisch über das Essen geäußert hatte, wiederholte Viersen abermals
seine Dankbarkeit und zögerte nicht, zu erklären, daß er sich Vincent unendlich
verpflichtet fühle. Anton sei sein einziger Sohn, den er bestimmt habe, die
Firma eines Tages zu übernehmen und zu lenken, mit seiner Rettung sei die
Zukunft gesichert. Und dann machte Herr Viersen Vincent das Angebot, für seine
Firma zu arbeiten, in einer angemessenen Position. Ungläubig starrte Vincent
ihn an, Skepsis löste Freude ab, er stand auf, ging einmal um den Tisch herum,
und als er verlegen fragte: „Wie denn, als was denn?“, sagte Viersen lächelnd:
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