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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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Siegfried Lenz
     
    Die Maske
     
    Erzählungen
     
    Rivalen
    Die Maske
    Die Sitzverteilung
    Ein Entwurf
    Das Interview
     
     
    Rivalen
     
    Immer, wenn Detlev Krell den zweiten Saal des
Stadtmuseums betrat, blieb er einen Augenblick stehen. Er schloß die Augen,
straffte sich, schien Atem zu holen, geradeso, als müßte er sich auf etwas
vorbereiten. Wenn er seinen Rundgang dann fortsetzte, lächelte er und
beschleunigte seine Schritte, die nicht mehr die Schritte eines Museumswärters
waren; er bewegte sich, als ginge er zu einer Verabredung. Sein Blick streifte
die Leihgaben von Courbet und Ingres und ruhte einen Moment auf den Werken von
Gauguin und van Gogh, die man, vermutlich eingedenk der Freundschaft, die
diese beiden Maler verband, nebeneinandergehängt hatte. Es zog ihn weiter. Er
mußte Antonia begrüßen, Antonia
mit dem blauen Schal. Sie, die
nicht El Greco selber, sondern einer seiner Schüler porträtiert hatte,
erwartete ihn gewiß schon. Nie zuvor hatte er eine so schöne Frau gesehen, in
ihren dunklen Augen lag, wie er glaubte, etwas Dringendes, eine dringende
Frage, die beantwortet werden wollte. Ihr Haar war im Nacken gesammelt; die
Lippen, leicht verzogen, ließen auf einen Schmerz schließen, vielleicht auf
einen Schmerz, der aus der Erinnerung kam. Antonia saß an einem Tisch, auf dem,
lässig hingestreut, ein paar Goldmünzen lagen. Der leere Stuhl neben dem Tisch
deutete Erwartung an.
    Mit einer leichten Verneigung des Kopfes trat der
Wärter vor das Porträt, erwiderte den Blick der dunklen Augen, die auf ihn
gerichtet waren, hob eine Hand, ging rückwärts zu der schmalen Polsterbank und
setzte sich. Es waren noch keine Besucher da, er hatte Antonia für sich allein.
Oft konnte er so sitzen, mitunter verspürte er den Wunsch, dies schöne Gesicht
zu berühren, mitunter bewegten sich seine Lippen, als flüsterte er Antonia
etwas zu, und mehr als einmal hatte er das Bedürfnis, den blauen Schal um diese
Schultern zu legen, sie zu bedecken, zu schmücken. Unwillkürlich mußte er dabei
an seine Sandra denken, die das kleine Haus hütete, an ihre fröhliche,
impulsive Art und die Lieder, die sie am Morgen sang. Sie waren noch Schüler,
als er sie zum ersten Mal küßte; geheiratet hatten sie in dem Herbst, als er
die Stellung eines Museums- Wärters erhielt. Mit der Unterstützung ihrer Eltern lebten sie
auskömmlich, und wenn sie Pläne für die Zukunft machten, waren es bescheidene
Pläne. Detlev Krell wunderte sich nicht mehr, wenn Sandra ihn bei
verschiedenen Gelegenheiten fragte, ob er sie noch liebte, mit dem ihm eigenen
Humor antwortete er: „Mir bleibt nichts anderes übrig.“
    Daß in seinem Museum jemals geschehen könnte, was
nach Ostern in einem Schweizer Museum geschehen war, hatte er sich nicht
vorzustellen gewagt; umso fassungsloser war er, als er an einem Morgen den
Diebstahl entdeckte. Er war nicht nur fassungslos, er war auch empört. Der Dieb
war über das Dach eingestiegen, es war ihm gelungen, sich durch eine Öffnung abzuseilen
- das Seil hatte er hängen lassen - und mit seiner Beute unerkannt zu
entkommen. Bevor Krell das Büro der Direktion verständigte, ging er weiter in
den Saal hinein, starrte entsetzt auf die weißen Stellen zwischen den Gemälden,
übersah allmählich, was da fehlte. Die Kartenspieler waren nicht mehr da; dort, wo die fröhlichen Sackträger ihre
Last auf einen Kahn schleppten, entdeckte er nur eine weiße Leere, und auch das Schmücken der Braut - ein Bild, das ihn so oft heiter gestimmt hatte - war
nicht mehr an seinem Platz. Von plötzlicher Angst erregt, ging er weiter und
sah sogleich, daß seine Angst nicht recht behielt: Antonia war noch da, seine
Antonia. Er fragte sich nicht, was den Dieb bewogen haben könnte, sie zu
übersehen und an ihrer Stelle zu belassen, er trat vor ihr Porträt, berührte
ihre Wangen und sagte leise: „Gott sei Dank.“ Erleichtert setzte er sich auf
eine Ruhebank, schnippte eine Zigarette aus der Packung, zündete sie jedoch
nicht an. Nach einer Weile ging er in den Geräteraum, wo immer noch ein Stapel
von Decken und Zeltplanen lag, bereit für Transporte. Er beklopfte sie,
lüftete eine Decke, eine Zeltplane - und jetzt beschloß er, zu handeln; es war
ein spontaner Einfall. Mit entschlossenen Schritten ging er in den Saal
zurück, horchte, trat vor Antonias Porträt und hängte es ab. Er war erstaunt,
wie leicht es war. Vielleicht kam es ihm aber auch nur so vor. In der
Gerätekammer hob er einige Decken
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