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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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doch weit genug vom Rennplatz entfernt -,
als Sven den Schuß hörte. Er erstarrte. Er wartete auf einen abermaligen Schuß,
doch er erfolgte nicht. Warum Sven auf einmal weinte, konnte er sich später
nicht erklären, er weinte lautlos, biß sich sacht in den Handrücken, um mit
einem Gegenschmerz auf seine Empfindung zu antworten. Er bemühte sich nicht,
seine Empfindungen zu verbergen. Der Sportredakteur legte ihm eine Hand auf
die Schulter und sah ihn teilnahmsvoll an, und da sagte er etwas, das Sven
nicht verstand. Er sagte auf Englisch: „They shoot horses, sometimes.“
    Haller wiederholte den Satz, und ohne sie anzuschauen,
reichte er Anja die Hand. Er spürte, wie nah ihr diese Begebenheit ging,
dennoch verzichtete er nicht darauf, Sven noch einmal erscheinen zu lassen,
ernst und vielleicht auch davon überzeugt, daß es Zumutungen gibt, die man
einander nicht ersparen darf, die man aushalten muß.
    Es war an einem Dienstag. Sven lieh sich das Dingi
des Kioskbesitzers, und bei leichtem Nebel legte er vom Steg unterhalb des
Kiosks ab und ruderte in Richtung Kohlenhafen. Ein langer Weg lag vor ihm,
doch er traute es sich zu, zum Liegeplatz der General Arias zu
finden und dort den Mann zu treffen, der ihn zu einer Begegnung aufgefordert
hatte. Er war nicht allein auf dem Strom. Von Zeit zu Zeit glitt schattenhaft
ein Schlepper vorbei oder ein Küstenfrachter, einmal auch, über die Toppen
beleuchtet und groß wie die ganze Welt, ein Passagierschiff. Ein aufkommender
Fischkutter drosselte seine Fahrt und kam nah heran, bis er querab war, man
bot Sven an, ihn in Schlepp zu nehmen, doch er dankte und lehnte ab. Als der
Nebel dichter wurde, bedauerte er seine Entscheidung, jetzt ruderte er nur
nach Gefühl. Er rammte einen Duckdalben und glaubte da, seinem Ziel näher
gekommen zu sein. Gleich darauf spürte er einen mächtigen Stoß, der sein Dingi
zum Kentern brachte, und er sah noch den Bug, der es unter Wasser drückte, das
Dingi und ihn, und vielleicht hörte er zuletzt das unerbittliche Walkgeräusch
einer Schiffsschraube, bis es nichts mehr gab außer Dunkelheit.
    Anja, die beim Zuhören ihr Halstuch abnahm, es
auszog, es sich um die Finger wickelte, stand auf und griff hastig nach dem
Schulheft. Sie weinte. Hilflos sah sie sich um, als suchte sie nach einem
Ausweg; dabei wurde das Weinen heftiger, zeigte sich als Krampf. Sie preßte das
Schulheft an ihre Brust. Wortlos, mit unsicheren Schritten ging sie hinaus und
ließ Hallers bittende Geste unbeachtet.
    Lange sah ich zu ihm hinüber, er wirkte verzweifelt.
Obwohl es für ihn nichts mehr zu sagen gab, fragte ich: „Und? War es so? Ist
Sven ertrunken?“
    „Unser Sven ist bei der Geburt gestorben“, sagte
er.
     
    Das Interview
     
    Da Benno zu den Theater-Festspielen nach Luzern
gefahren war, beauftragte die Redaktion mich, das Interview für die Seite fünf
zu übernehmen. Die Seite fünf ist eine Art Schauseite im Hamburger Kurier, in dem
ich als freier Mitarbeiter tätig bin. Wann immer bedeutende oder, wie Benno
sagte, „ergiebige Personen“ in die Stadt kamen, erhielten wir einen Tip, einen
Hinweis; wir wurden nur selten enttäuscht. Unser Mann ist Portier in dem kleinen,
aber eleganten Hamburger Hotel Schwaneneck, in dem absteigt, wer auf sich hält oder halten zu
müssen glaubt. Lange, vertrauensvolle Zusammenarbeit hat es mit sich gebracht,
daß wir uns mit Vornamen nennen; wenn wir hören, daß Alex angerufen hat,
denken wir nicht nur an den Portier im Schwaneneck, sondern sind auch sogleich bereit, etwas über den
Grund seines Anrufs zu erfahren. Daß Europas erfolgreichster Springreiter, daß
eine berühmte Schauspielerin oder ein populärer Stimmenimitator sich in der
Stadt aufhielten, hatten wir von Alex erfahren; wir danken ihm gelegentlich mit
seinem Lieblingsgetränk.
    Mit seinem letzten Anruf machte uns Alex auf diesen
Regisseur aufmerksam, auf Elmar Voss. Viel konnte er nicht über ihn sagen, er
vermutete aber, daß Elmar Voss ein vielgefragter Mann sei, da er Anrufe aus
Italien und Schweden bekäme und oft englisch spreche. Um mich mit ihm zu
verabreden, rief ich selbst im Schwaneneck an und nannte auch den Namen meiner Zeitung. Er
meldete sich nicht mit seinem Namen, er fragte lediglich: „Ja, ja bitte?“, und
wollte dann wissen, worüber ich mit ihm zu sprechen wünschte. Ich bekannte mich
als Bewunderer seiner Filme und schlug ihm vor, über einige Probleme und ihre
Darstellung zu sprechen, wobei Privates nicht unerwähnt
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