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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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machen, und der
glaubwürdigste Grund ist das Trauma, das Vincent bei dem Sturz erleidet.“ Bewußtlos
wird er in die Sanitätskabine gebracht, sein Zustand wird vor den Passagieren
der Feinschmekker-Reise verheimlicht. Da man weiß, wieviel von seinem Urteil
abhängt, erhält er eine empfindsame Pflege. Der Kapitän läßt es sich nicht
nehmen, den wichtigen Patienten oft zu besuchen, es versteht sich von selbst,
daß der wieder zu sich kommende Patient mit Feinschmeckerspeisen verwöhnt wird.
Bei einem seiner Besuche zeigt sich der Kapitän nicht nur erstaunt, sondern
auch ratlos. Vincent gesteht ihm, daß es ihm nicht möglich gewesen ist, die
Fruchtsorte in Cognac zu bestimmen, und daß er den Safranpudding nicht beim
Namen nennen konnte. Bekümmert sagt er über seinen Zustand: „Ich bin vielleicht
leergelaufen, Herr Kapitän.“ Das sagt er unter Tränen.
    Ich fragte Voss, ob es während der Aufnahmen
besondere Schwierigkeiten für ihn gegeben habe, und er bestätigte es. „Oh ja“,
sagte er, „formale und inhaltliche Schwierigkeiten.“ Selbstverständlich
wurden vor jeder Feinschmecker-Reise Wetternachrichten eingeholt, das geschah
auch vor der letzten Reise, die Nachrichten gaben keinen Anlaß zur Sorge. Man
traute sich zu, das vorausgesagte unfreundliche Wetter zu meistern. Einmal auf
See, erleben sie dann jedoch, wie sich ein Sturm ankündigt und entwickelt:
Plötzliche Böen beschäftigen sich mit den Segeln, der Horizont dunkelt ein,
das Schiff wird angehoben, bricht ein, stampft mitunter. Im Bild wird das
althergebrachte Drama deutlich. Die meisten Passagiere, die die Reise im voraus
bezahlt haben, erwarteten dennoch, an dem Feinschmecker-Erlebnis teilzuhaben.
    Für das, was dann geschah, fand Voss einen
besonderen Satz. „Bei Sturm“, sagte er, „reagieren unsere Geschmackspapillen
anders als bei ruhiger See.“ Vincent, der sich von seinem Sturz erholt hat,
gelingt es, einen Titel anzubieten, der mehr als neugierig macht: „Kreuzfahrerfreude“
nennt er die Speise. Sie besteht unter anderem aus Hühnerleber mit Fruchtsirup,
dazu gehören Eier und Kaviar. Aufmerksam verfolgt Vincent das Servieren, gespannt
beobachtet er die Gesichter der Essenden nach dem ersten Bissen. Das Ergebnis
seiner Komposition stimmt ihn zufrieden, man nickt sich anerkennend zu. Herr
Viersen, der auch in die Messe gekommen ist, prostet ihm zu. Fast alle heben ihr
Glas gegen ihn, und er nimmt die Glückwünsche mit einem Lächeln entgegen. Die
Kamera verrät, daß zum Essen Sagramoso Valpolicella Superiore geboten wird. „Für
mich“, sagte Voss, „verbindet sich mit diesem Namen ein denkwürdiger Rausch.“

 
    Nach der Feinschmeckermahlzeit und nach gemeinsamem
Singen erhebt sich Vincent, er schwankt, sein suchender Blick ist ungenau, in
dem Schweigen der anderen steht er wie verloren da, plötzlich unsicher, wozu er
sich erhoben hat. Als er sich schwankend zur Tür bewegt, bietet ihm der
Steuermann mit einer Geste Hilfe an, Vincent lehnt ab. Mühevoll öffnet er die
Tür, erschrickt, krümmt sich, sammelt seine Kraft und tritt nach einem letzten
Blick auf die Gesellschaff hinaus in den Sturm. Eine Sturzwelle läßt sein
Schicksal nicht im ungewissen.
    Mir kam das Ende des Vorkosters allzu
lakonisch vor, ich scheute mich nicht, Voss zu fragen, ob er selbst mit diesem
Ende zufrieden sei, mit diesem schlichten Blackout. Er antwortete nicht gleich.
Er bedachte sich und sagte dann: „Das Schicksal verzichtet off auf Kommentare,
es begnügt sich damit, zuzuschlagen.“ Und nach einer Pause sagte er mit leicht
gequältem Gesichtsausdruck: „So weit, mein Lieber, Ende des Interviews.“
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