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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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bleiben sollte, hier
und da zumindest; außerdem hoffte ich, etwas über seine gegenwärtige Arbeit zu
erfahren, über den Film Der
Vorkoster, der gewiß von vielen erwartet
werde. Einen Moment schien er nachzudenken, dann sagte er: „Gut, ich bin
einverstanden. Kommen Sie gegen achtzehn Uhr, Sie trinken doch hoffentlich Tee?“
    Um meine Kenntnisse über Elmar Voss zu erweitern,
holte ich mir aus unserem Archiv die Mappe mit Zeitungsausschnitten, die ihn
betrafen. Manches war mir bekannt. Ich wußte bereits, daß sein Film Atempause mit dem
großen Filmpreis ausgezeichnet worden war und daß man Der Rest ist Zweifel für den Oscar nominiert hatte. Erstaunt erfuhr ich, daß
Voss eine besondere Leidenschaft hatte: Wo immer auf der Welt ein sogenannter
Marathon-Gedächtnislauf stattfand - in Kopenhagen, in Neapel oder Düsseldorf
-, war dieser Regisseur unter den Teilnehmern zu finden. In einem Ausschnitt
aus der Festschrift Wir und
unsere Welt konnte ich lesen, daß Voss und
seine Frau zwei Kinder adoptiert hatten, ein finnisches Mädchen und einen
Jungen aus Tunesien. Seine Frau war nicht lange danach bei einem Schiffsunglück
ums Leben gekommen. - Als ich pünktlich ins Hotel kam und mich nach Herrn Voss
erkundigte, wurde ich vom Concierge in ein kleines Atelier geführt. Dort war
bereits alles dafür bereitet, mir den Vorkoster vorzuführen. - Danach brachte man mich zu Elmar
Voss.
    Im Unterschied zu den Photos, auf denen er gebeugt
erschien und in einer Haltung des Abwartens, begrüßte mich im Schwaneneck ein
hochgewachsener Mann, der sich über unsere Begegnung freute. Er trug dunkle
Hosen und einen hellblauen Pullover. Als hätte er diesen Platz für mich bestimmt,
bot er mir gleich den Stuhl vor dem großen Fenster an, durch das man die Alster
erblickte, auf der ein Dutzend Optimist-Jollen kreuzte. Es war sein
Lieblingsplatz. „Hier wird das Auge gut bedient“, sagte er, „und übrigens auch
die Phantasie. Da Sie die Muster kennen, wissen Sie, daß dies die erste
Einstellung ist beim Vorkoster: Die Idylle und dann der Einbruch des Unglücks in
die Idylle; Idylle und Drama sind manchmal Nachbarn.“
    Da mir diese Bemerkung als wichtig für die Arbeit
von Voss erschien, bat ich ihn um sein Einverständnis, mir Notizen zu machen,
nur in Stichworten, worauf er mit einer knappen Handbewegung zustimmte und gleich
darauf nach draußen deutete: Zwei Optimist-Jollen waren nach dem Drehen gegen
den Wind auf Kollisionskurs geraten, und um die Gefahr abzuwenden, hatten sich
die beiden jungen Segler außenbords gehängt und hielten verzweifelt die Leinen:
Es gelang ihnen, ihre Boote auf Abstand zu halten und aneinander vorbeizubringen.
    „So beginnt der Vorkoster“, sagte
ich, und Voss: „Im Bild, ja, die Geschichte aber beginnt mit der Frage: >Was
wäre, wenn?< Und um diese Frage zu beantworten, wenn auch nur vorläufig, entschloß
man sich, zu handeln: >Ich stelle mir vor.<
    Sich etwas vorzustellen, das heißt ja auch, in ein
Geschehen einzugreifen.“
    „In Ihrem Film kommt es zu einer Kollision“, sagte
ich. „Ja“, sagte er, „zu einer Kollision mit Folgen.“
    Ich stellte mir die Szene vor, in der die beiden
Jollen aufkreuzten, ihre hellen Segel, in denen der Wind saß als Verbündeter
und die leichten Boote so stetig bewegte, daß man glaubte, sie würden gleich
abheben.
    Am Ufer, zwischen Weiden, lagerten zwei Männer, die
das fast geräuschlose Gleiten der Boote beobachteten, jeder der Männer hielt
eine Bierflasche in der Hand, trank jedoch nicht und griff auch nicht nach
einem der mit Wurst belegten Brötchen, die auf einer Decke neben ihnen lagen.
Sie kamen nicht von dem bewegten Bild los, geradeso, als seien sie zum
Zuschauen verurteilt. Beiden war anzusehen, daß sie mehr als eine Nacht unter
freiem Himmel geschlafen hatten, und weder dem Bärtigen noch dem Mann mit den
Ohrringen hätte man zugetraut, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Sie
kamen hier mit wenigen Wörtern aus, der mit den Ohrringen wurde Vincent
genannt, der Bärtige hieß Georg.
    „Sie lassen sie nur wenig sprechen zu Anfang“,
sagte ich. „Über gewisse Ereignisse spricht man nachher“, sagte Voss, „nicht,
während sie geschehen. Im übrigen darf man voraussetzen, daß die beiden sich
bereits ihre Lebensgeschichte erzählt haben, zumindest mit den Vorkommnissen,
die sie für erzählenswert halten.“
    Als erkennbar war, daß die Jollen sich nicht mehr
ausweichen konnten, sagte der Bärtige: „Da, Vincent, da,
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