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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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Körper trug. Er legte den Beutel
auf den Tisch, woraufhin Laura eine Blumenvase ergriff, hineinfaßte und einen
Umschlag zum Vorschein brachte. Der Besucher öffnete den Umschlag. Die
gebündelten Geldscheine stimmten ihn zufrieden, er zählte sie nicht nach,
bekundete nur sein Vertrauen, indem er Laura die Hand gab und sich dann mit
einer Verbeugung verabschiedete. Von der Tür her sagte er noch: „Dienstag,
auszuliefern im Kohlenhafen, General Arias aus Nicaragua.“ Das klang wie eine
Order.
    Kaum waren sie allein, da schüttelte Laura den
Inhalt des Lederbeutels auf dem Tisch aus, kleine Kapseln, die gefüllt waren
mit grauen, blauen und weißen Tabletten. Nachdenklich begann sie, die Kapseln
zu sortieren, Sven mußte glauben, daß Laura sich dabei an Namen und Adressen
erinnerte, die bedacht sein mußten. Einmal nahm er eine Kapsel, schüttelte die
Tabletten raus, tat, als wollte er sie sich in den Mund stecken, doch bevor es
ihm gelang, hatte Laura sie ihm abgenommen. Ruhig sagte sie: „Nein, Sven, nein,
nein, wir können uns das Zeug nicht leisten, zu teuer für uns.“
    Haller unterbrach seine Erzählung, machte eine
lange Pause. Jedem, der ihm zugehört hatte, wäre aufgefallen, daß er zunehmend
für Sven Partei ergriff; selbst als er einmal Svens Spiegelbild in einer
Schaufensterscheibe beschrieb, wurde Zuneigung erkennbar - das zerzauste
blonde Haar, die dekorativen Löcher in den Jeans und der wie zur Versöhnung
ausgestreckte Arm. Doch er ersparte ihm auch nicht eine folgenreiche Enttäuschung.
    Als der Sportredakteur des Hamburger Kuriers ihm
vorschlug, gemeinsam zu einem Pferderennen zu gehen, war Sven sogleich dazu
bereit, und nicht nur dies: Wie ihm geraten wurde, beschloß er zum ersten Mal,
zu wetten. Er lieh sich Geld, von Laura, vom Besitzer des Kiosks und von seinem
ehemaligen Botenfreund. Der Sportredakteur kannte einige Jockeys, und er war
vertraut mit der Erfolgsgeschichte einiger Pferde; da er das Recht hatte, die
Stallungen zu betreten, nahm er Sven zu einem Gang mit. Offenbar hatte der
Sportredakteur auch ein persönliches Verhältnis zu einem Pferd, er schmiegte
sein Gesicht an dessen Kopf, streichelte ihn, schien ihm tatsächlich etwas
zuzuflüstern. Sven lächelte, als er den Namen des Pferdes hörte: Windsbraut -
das klang schon nach Sieg, nach Gewinn. Jetzt glaubte er, nicht mehr wählen zu
müssen, er setzte das ganze geborgte Geld auf Windsbraut und begeisterte sich
am Anblick des schönen Pferdes, das auf dem Weg zum Start verhalten tänzelte.
Sein Pferd kam gut vom Start weg, es hielt sich sicher im Mittelfeld: Als es
sich allmählich an den anderen gestreckten Leibern vorbeischob und in
vollkommenem Galopp die Spitze gewann, sprang Sven auf, wie auch andere
Zuschauer, er schrie mit ihnen, er klatschte mit ihnen, er stieß mitunter
Heultöne aus und trampelte dabei. Je näher er sich einem Sieg glaubte, desto
öfter wuchs seine Bereitschaff, sich Nachbarn zuzuwenden, ihnen auf die
Schulter zu schlagen oder zuzunicken, fast schon zu gratulieren. Der
knabenhafte Jockey, der Windsbraut ritt, gebrauchte sein Stöckchen nicht ein
einziges Mal, er lag fast auf dem Rücken des Pferdes, Sven kam es so vor, als
erblickte er ein einziges Wesen.
    Warum Windsbraut sich plötzlich vergaloppierte,
strauchelte und zusammenbrach, konnte Sven nicht erkunden, er bekam nur mit,
wie die Vorderbeine des Pferdes einknickten und der Körper sich wie im Reflex
aufbäumte und stürzte. Dem Jockey gelang es, auf die Beine zu kommen, hinkend
wandte er sich dem Pferd zu, beklopfte seinen Hals, seine Stirn, packte die
Zügel, zog und riß und forderte es mit kurzen Befehlen auf, sich zu erheben.
Schnaubend versuchte Windsbraut, den Befehlen zu gehorchen, warf den Kopf,
drückte sich ab, doch fiel immer wieder zurück.
    Zum Glasgebäude hinüber, in dem die Rennleitung
saß, gab der Jockey wiederholt Zeichen, und nach kurzer Zeit erschien ein
Laster mit offener Ladefläche, auf der ein Kran montiert war. Zwei Männer
zogen flache Gurte unter dem Körper des Pferdes hindurch, bedienten den Kran
und hoben Windsbraut auf die Ladefläche. Während sie langsam davonfuhren,
regte sich vereinzelt Beifall. Sven klatschte nicht. Ergriffen starrte er auf
die Vorderbeine des Pferdes, die sich zuckend bewegten, die versuchten,
auszugreifen, Boden und Halt zu gewinnen, schließlich aber, wie erschöpft von
der Bewegung, still lagen. Wohin sie fuhren, wußte Sven nicht. Sie konnten
noch nicht weit gekommen sein - aber
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