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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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ihm anbot: Auf
Tischen, auf Zeltbahnen standen da gebrauchte Suppenschüsseln und Eierbecher
zum Verkauf, er sah ein besticktes Kopfkissen, das „Frohes Erwachen“ wünschte,
einen Tortenheber, Mäusefallen, Gummistiefel, Kartenspiele; ihm entging nicht
ein Kasten mit altmodischem Besteck, nicht die Bernsteinkette, die eine
pfeiferauchende Frau anbot; am längsten hielt er sich bei dem Vogelkäfig auf,
in dem ein griesgrämig wirkender Papagei hockte, dem von Zeit zu Zeit der Satz
gelang: „Halt dich steif, Petersen!“ Sven fragte sich nicht, wo der Papagei
diesen Satz gelernt haben mochte, er ließ ihn sich zweimal wiederholen, dann
schlenderte er weiter, bestaunte einen indianischen Kopfschmuck und ein
ausgestopftes Eichhörnchen, und auch hier fragte er sich nicht, wer wohl diese
Dinge wem nachgelassen habe. Er glaubte genug gesehen zu haben.
    Jetzt fragte Anja geduldig: „Und? Gewann er einen
Preis?“
    „Einen Preis hat er nicht gewonnen“, sagte Haller, „aber
der Hamburger Kurier druckte sein Manuskript.“ Es war ein großer Tag für Sven,
er fand sich gedruckt, und es ist anzunehmen, daß da schon der unwillkürliche
Wunsch entstand, dieses Erlebnis zu wiederholen, diese Entdeckung. Beglückwünscht
von seinem Botenfreund, der ihm einredete, mehr draufzuhaben, als Papier zu
überbringen, erwog Sven, sich um eine Arbeit in der Redaktion zu bewerben,
und es stand für ihn auch schon fest, daß es nur das Feuilleton sein könnte.
Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt, aber man schlug ihm in der
Geschäftsleitung vor, doch ein Volontariat zu beginnen, und mehr als zufrieden
nahm er den Vorschlag an. Fast zwei Jahre dauerte sein Volontariat, eine
Lehrzeit, an die er sich später mit Freude erinnerte. Er durfte an
Redaktionskonferenzen teilnehmen, auf denen Ereignisse des Tages bewertet
wurden, er durfte aus dem Archiv sogenannte Vorgeschichten heraussuchen,
mitunter forderte man ihn auf, besondere Vorkommnisse „wahrzunehmen“, wie man
sich ausdrückte, und schickte ihn in eine Briefmarkenausstellung, zu einem
Stapellauf oder einer Filmpremiere ins Roxi-Kino. Zu einer Filmpremiere nahm er
Laura mit, die bereits Jungredakteurin im Feuilleton war und eine Liebhaberin
französischer Filme; beide sahen mit Begeisterung zu, wie der Schauspieler
Depardieu nach einem gewonnenen Florettduell in einer Burgruine zur Belohnung
einen Kuß von einem spärlich bekleideten Burgfräulein bekam. Bevor im Roxi-Kino
das Licht eingeschaltet wurde, erhielt Sven seinen ersten, wenn auch nur
flüchtigen Kuß. Später wunderte er sich darüber, daß das, was wir durch
Anschauung miterleben, die Macht hat, uns in unserem Verhalten zu regieren, uns
zur Nachahmung anzustiften.
    Hand in Hand verließen sie das Kino; ohne etwas
besprochen oder ausgemacht zu haben, begleitete Sven die um mehrere Jahre
ältere Laura, stieg mit ihr die vier Treppen hinauf, betrat hinter ihr die
geräumige Wohnung und erhielt, bevor er sich setzte, einen Willkommenskuß.
Laura entsann sich, von einem Geburtstag noch etwas Wein zu haben, sie brachte
eine knapp gefüllte Flasche auf den Tisch und begann, den Film, den sie gerade
gesehen hatten, nachzuerzählen.
    An dieser Stelle lachte Anja auf, belustigt sagte
sie: „Kommt mir bekannt vor, Fred, jetzt hast du uns ins Spiel gebracht.“
    „Nicht jeder ist ein Original“, sagte Fred, „damit
müssen wir uns abfinden.“ Er blätterte weiter in seinem Schulheft, ließ Sven
eine Nacht in Lauras Wohnung verbringen - wobei er vergnügt erzählte, wie
umständlich Sven sich auszog und wie er Laura dabei half, ihren engen Rock
abzustreifen -, zum ersten Mal lag er unbekleidet neben einem Mädchen und befolgte,
wozu er angeleitet wurde. Als sie reglos nebeneinanderlagen, fiel ihm etwas
ein, worüber er sich nicht wunderte; Sven riskierte den Vorschlag, bald zu
heiraten, in einer nicht allzu fernen Zukunft.
    Ich sah zu Anja hinüber, Unruhe schien sie ergriffen
zu haben, sie schüttelte den Kopf und machte eine verneinende Bewegung, worauf
Haller nur wiederholt nickte und sagte: „So ist es manchmal!“
    Den Besuch, der zaghaft an der Tür klopfte, schien
Laura erwartet zu haben, sie ließ einen stämmigen, helläugigen Mann in die
Wohnung, der sich vor ihr verneigte, Sven aber nur abschätzend musterte und
sich einen Moment blickweis mit Laura verständigte. Der Besuch hatte etwas zu
überbringen. Er zögerte. Erst auf ein beschwichtigendes Zeichen von Laura
holte er einen Lederbeutel hervor, den er am
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