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Die Maske

Die Maske

Titel: Die Maske
Autoren: Siegfried Lenz
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Entstehung eines vagen
Lächelns deutet an, daß man sich dem innewohnenden Aroma nähert, ein
Aufleuchten des Gesichts, ein Nicken verkünden erfolgreiche Bestimmung, die mit
der Nennung des Namens endet und mit einem wie erschöpft klingenden Ausatmen.
Ohne Proben wiederholt Vincent nur, was jeder Mensch vorführt, der eine ähnliche
Aufgabe erfüllen will.“
    „Man kann verstehen, daß das Gesicht des Vorkosters
in Großaufnahme gezeigt wird“, sagte ich. „Es ist ein Spiegel des Prozesses“,
sagte Voss; „was Worte nicht sagen können, sagt der Ausdruck des Gesichts.“
    Lustig kam mir der Abschnitt vor, in dem der
Vorkoster in seiner Häuslichkeit auftritt. Er lebt mit Greta zusammen, einer
kleinen, stämmigen Frau, die im Film Cocos-Schnut genannt wird, Vincent nennt
sie „meine Cocos-Schnut“. Die Verbindung erscheint harmonisch, selbst wenn er gelegentlich
nicht darauf verzichten kann, ihr beizubringen, daß zum Elchfleisch nun einmal
geriebene Nüsse gehören und daß der Hering es gern hat, von Pfefferkörnern
begrüßt zu werden. Greta bewundert ihren Gefährten, ab und zu fragt sie ihn: „Woher
weißt du das nur, Vincent, woher hast du das alles?“ Einmal antwortet er ihr
selbstbewußt: „Über gewisse Geschenke zerbricht man sich nicht den Kopf; man
nimmt sie an, freut sich, fertig.“
    Um mich zu vergewissern, fragte ich: „Habe ich Sie
richtig verstanden, daß Sie zeigen wollten, wie launisch das Schicksal sein
kann bei der Verteilung solcher Geschenke?“
    „Ihre Vermutung trifft zu“, sagte er. Leise fügte
er hinzu: „In manchen unserer Planungen und Tätigkeiten liegt ein Risiko; wir
entdecken es zuweilen erst, wenn es sich erfüllt hat. Diese Erfahrung habe ich
auch in meiner Arbeit machen müssen, zum Beispiel in meinem Kriegsfilm Der Scharfschütze. Der Film
bekam nur schlechte Kritiken. In einer Zeitung hieß es: >Ein Scharfschütze
als Ästhet<; man machte mich darauf aufmerksam, daß einige der tödlich
getroffenen Soldaten allzu dekorativ fielen und danach auf dem Feld lagen wie
nach einer anbefohlenen Ruhepause, >schön geordnet, schön tot<. Ich
machte ihm das Kompliment, daß das Ende seines Films Der Vorkoster mich
ergriffen habe und daß es gewiß auch andere Zuschauer ergreifen würde.
    Dieses Ende zeigt Vincent wieder an Bord der Luculla. Das
Schiff kreuzt in kabbeliger See. An einem Abend entdeckt er einen seltenen
Vogel, der Ähnlichkeit mit einem Albatros hat, doch nur entfernte Ähnlichkeit.
Mehrmals umkreist der Vogel das Schiff, schließlich läßt er sich beim Bramsegel
nieder. Vincent entdeckt ihn zuerst, und sogleich reagiert der Vorkoster in
ihm: Eine Gans kann es nicht sein, eine Ente noch weniger, was also? Der
Vorkoster wendet sich an den Kapitän, er erklärt ihm, daß mit dem Erscheinen
dieses seltenen Vogels vielleicht ein denkwürdiger Augenblick für die
Bereicherung der Geschmackspalette gekommen sei, dazu müßte man den
schwarzweißen Vogel allerdings bekommen und zubereiten. Der Kapitän der Luculla muß
nicht langwierig überzeugt werden, er greift seine immer geladene
Schrotflinte, sucht sich eine günstige Position und erlegt den Vogel mit dem
ersten Schuß. Der Vogel fällt nicht aufs Deck herab, er verfängt sich im
Tauwerk, schlägt verzweifelt mit den Schwingen, die mit dem Nachlassen der
Kraft zur Ruhe kommen! Ein Sinnbild der Traurigkeit, so hängt er da. Vincent
weiß, was von ihm erwartet wird, ohne Aufforderung bewegt er sich zur
Strickleiter, schätzt die Entfernung zum toten Vogel ab und steigt auf. Ich
sagte: „Auf diesem Aufstieg verweilt die Kamera lange, beinahe genußreich.“
    „Von mir gedacht als Hinweis auf die
Schwierigkeiten beim Bergen einer Beute“, sagte Voss.
    Es gelingt Vincent, an den toten Vogel heranzukommen,
er packt ihn, befreit ihn aus dem Tauwerk, zeigt ihn seinen Zuschauern auf
Deck, einige belohnen ihn mit Beifall. Mit dem Vogel in der Hand versucht er
den Abstieg, und jetzt geschieht das Unglück: Sein Fuß verfehlt eine Sprosse
der Leiter; um sich festzuhalten, wirft er den Vogel von sich, greift oder
versucht die Strickleiter zu ergreifen. Seine Hand stößt ins Leere, während
die Luculla durchsackt. Mit einem Schrei, den sie alle auf Deck hören,
stürzt Vincent ab und bleibt auf dem Deck liegen.
    „Ein gewaltsames Ende“, sagte ich. „Wie man's nimmt“,
sagte Voss; „das, was ich zeigen will, muß exemplarisch begründet werden. Ich
will die Entstehung eines Geschmacksverlustes anschaulich
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