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Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat
Autoren: Leif Davidsen
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    DER SCHRIFTSTELLER und Philosoph Franji Draskuvic war ein zufriedener Mann. Er war mit sich und seinem gepflegten Bart zufrieden, mit dem Spätsommer, der seine schöne Stadt Zagreb anmutig wie ein junges Mädchen erscheinen ließ, und damit, daß das neue starke kroatische Heer die gottverdammten Serben endlich aus der Krajina gejagt hatte. Aber besonders zufrieden war Draskuvic mit dem Rundfunkkommentar, den er soeben in einem Studio des kroatischen Staatssenders unter dem Bild des Präsidenten eingesprochen hatte. Er hatte, wie es seine Gewohnheit war, den Kommentar leise, fast flüsternd, aber mit fester Stimme aufgenommen und die nötige Heiserkeit hineingelegt, so daß es seinen treuen Hörern kalt, aber wohlig den Rücken hinunterlief. Die schönen, blumigen, patriotischen Sätze aus seinem kleinen Mund inmitten des großen grauen Barts waren vom Mikrophon geschluckt und auf Band aufgezeichnet worden, um am Nachmittag an alle guten Bürger des freien, starken Kroatien ausgestrahlt zu werden.
    Draskuvic war ein Balkan-Intellektueller und stolz darauf. Der Kommentar hatte in präzisen, aber großartigen Wendungen noch einmal klargestellt, wer einen Anspruch auf die Krajina hatte. Er hatte die Behauptungen der Serben und der internationalen Mafia, sie sei altes serbisches Gebiet, als Lügen entlarvt. Ihnen konnte Draskuvic berichten, daß die Serben dort vor dreihundert Jahren von den blutrünstigen Österreich-Ungarn als Vorposten gegen die heidnischen Türken angesiedelt worden waren. Als Gegenleistung dafür, daß sie Land erhielten, sollten die serbischen Freiherren die äußeren Grenzen des Reiches verteidigen. Die Serben waren Kolonisatoren. Nichts anderes. Nun war die Krajina befreit. Endlich. Trotz internationalen Boykotts und russisch-serbischer Verschwörungen hatte Kroatien mit deutscher und amerikanischer Hilfe sein glorreiches Heer wieder aufgebaut. Sie hatten wie wahre Patrioten gekämpft und gezeigt, daß auf dem Balkan ein neues Gleichgewicht der Kräfte herrschte. Nach vier Jahren der Demütigungen war Kroatien entschlossen, sein heiliges Land zu verteidigen. Zum ersten Mal waren die Serben auf der Flucht. Jetzt bekamen sie ihre eigene Medizin zu schlucken. Als es darauf ankam, verdrückten sie sich wie räudige Hunde, während sich die niederträchtigen UN-Lakaien aus dem verräterischen Ausland in ihren erbärmlichen Schützenlöchern verkrochen.
    »Speit sie an. Denn sie verdienen nichts anderes als eure Verachtung, ihr wahren Patrioten!« hieß seine eindringliche Aufforderung. Die Fernsehbilder flüchtender Serben mit ihrem lächerlichen Sack und Pack auf den alten Bauernwagen versetzten ihn in große Zufriedenheit. Es ärgerte ihn nur, daß sie auf ihren vermutlich gestohlenen Traktoren einfach wegfahren durften. Man müßte sie zwingen zu laufen. Auf ihren blutigen Knien zu kriechen. Sie hatten viel zu bereuen. Einen Augenblick lang hatte er überlegt, selbst in die Krajina zu fahren, um die flüchtenden Hunde mit eigenen Augen zu sehen und ihnen womöglich einige wohlgesetzte Worte mit auf den Weg zu geben. Darüber wäre zweifellos in der Zeitung berichtet worden. Einen kurzen Moment lang hatte ihm auch folgendes Bild vor Augen gestanden: der distinguierte europäische Intellektuelle, der keine Angst davor hatte, mit des Volkes tapferen Söhnen ins Feld zu ziehen. Aber er wollte darauf verzichten. Sein Leben war zu wichtig. Er war ein großer Poet und ein älterer Herr, er blieb lieber in Zagreb. Er kämpfte an seiner Front. Der intellektuellen Front. Sie war genauso wichtig wie die andern Fronten. Ohne geistige Nahrung konnten die Soldaten nicht kämpfen. Sie wüßten gar nicht, wofür sie kämpften. Es würde ihnen an moralischer und geistiger Kraft fehlen. Er hatte seinen Kommentar mit den Worten beendet: »Landsleute! Zieht mit Gott in die Krajina und macht das befreite Land wieder fruchtbar!«
    Draskuvic war ein fröhlicher Mann. Trotz der Hitze trug er einen Anzug. Unter dem Arm klemmte eine kroatische Zeitschrift, in der er selbst mit einem Artikel über die Notwendigkeit, die befreiten Gebiete von zwielichtigen Elementen zu säubern, vertreten war. Draskuvic verstand sich als Denker und Patriot. Er schrieb über Tapferkeit und patriotische Gerechtigkeit, so wie serbische Intellektuelle über Mut und Ehre schrieben. Nie sahen die Intellektuellen das Blut und die Leiden. Er schrieb seine giftigen Kommentare als Gegengewicht gegen die serbischen Bösartigkeiten. Von sicheren
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