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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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wechselnden Freunden und all den anderen Katastrophen in ihrem Leben. Ich redete von meinem Vater, der bei den Amerikanern den Texas-Saloon betrieb, eine ehemalige Miss Oklahoma mit zwei Kindern geheiratet und nie eine Mark Unterhalt für mich bezahlt hatte.
    Noch heute sehe ich Michael vor mir, wie er in seinem Boss-Anzug und einem verknitterten weißen Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln vor mir saß und nach und nach von sich zu erzählen anfing. Er ist das jüngste von vier Kindern, Sohn eines Stahlarbeiters aus der Völklinger Hütte, aufgewachsen in einer Mietskaserne, genau da, wo das Saarland am häßlichsten ist und die Menschen am ärmsten sind. Sein Vater schlug die Kinder mit Hosengürteln und Teppichklopfern, brülle, randalierte und soff: ein Leben zwischen Eckkneipe, Fußballverein und Gewerkschaft. Michael war der einzige aus der Familie, der eine weiterführende Schule besucht hatte. Nach einem Einser-Abitur hatte er in München Betriebswirtschaft studiert und an der London School of Economics promoviert. Seitdem bewunderte er alles Britische. Er trug Anzüge von der Savile Row und war vermutlich der einzige Steuerberater in Deutschland, der ab und zu einen Bowler Hat aufsetzte. Er spielte ganz gut Klavier und liebte die englischen Rockbands der sechziger und siebziger Jahre. Mit seinem gepflegten britischen Upper-Class-Akzent, auf den er stolz war, sang er mir nach einigen Gläsern Wein Songs der Kinks wie diesen vor:
    How's your father, how's your mother?
    How's your sister, how's your brother?
    How's your brand new limousine,
    Twenty-four inch TV screen?
    Did you like prosperity
    More than you liked poverty?
    Life is easier, so much easier,
    Life is easier now.
     
    Oh Mr. Pleasant, how is Mrs. Pleasant?
    Did you know she was flirting around
    With another young man,
    And he's taking her out
    When you have to work late?
    And it's not so pleasant after all, hey hey.
    How are you today?
    Dieser Tag ist mir als einer der ganz wenigen absolut perfekten Tage meines Lebens in Erinnerung geblieben. Die Musik war gut, die Cocktails noch besser, und ich konnte mit einigen Leuten Französisch reden und Michael zeigen, daß ich mehr draufhatte als die Durchschnittsärztin. Ich schwebte den ganzen Abend auf rosaroten Wolken. Wie wenige solche Tage hat es in unserem Leben gegeben.
***
    Drei Wochen danach habe ich Jean-Yves den Laufpaß gegeben. Kurz darauf ist Michael bei mir eingezogen. Das war zu früh, wie ich bald feststellte. Es dauerte keinen Monat lang, bis wir den ersten richtigen Krach hatten. Ich merkte nach und nach, daß Michael bei all seinem Charme, seinem Wissen, seinen Zukunftsplänen und seinem seriösen Auftreten eine dunkle Seite hatte. Er war jähzornig, stur und streitsüchtig. Wenn er sich im Recht glaubte, war er gnadenlos. Sein großes Wissen verführte ihn dazu, alles besser zu wissen, auch wenn er einmal keine Ahnung hatte. Seine Herkunft aus einer Arbeiterfamilie, die er nach außen hin bis heute nicht zugibt, kompensierte er mit unmenschlichem Ehrgeiz und dem Willen, immer und überall der Beste zu sein. Aber am schlimmsten waren sein plötzlich auflodernder Zorn und der Haß, der dann in seinen Augen brannte. Nie zuvor hatte ich einen Menschen getroffen, der binnen Sekunden von fröhlichem Lachen in unbeherrschtes Gebrüll übergehen und dann seinen Mitmenschen die erstaunlichsten Grobheiten an den Kopf werfen konnte. Michael verfügt über einen ausgeprägten Sinn für Konfrontation und will immer seinen Willen durchsetzen. Auf die erste Kostprobe dieser Eigenschaft, die er lapidar seine Charakterstärke nannte, brauchte ich nicht lange zu warten.
    Als Michael bei mir einzog, wohnte neben mir ein blasser Typ, der in einem Bioladen arbeitete. Immer um Mitternacht durchdrang das Malen seiner Getreidemühle das Haus wie das Geräusch einer fernen Bohrmaschine. Mir war das egal, aber für Michael stellte diese Ruhestörung ein Kapitalverbrechen dar. Es dauerte keine Woche, bis er hinaus ins Treppenhaus stürmte und mit beiden Fäusten so lange an die Tür des Nachbarn hämmerte, bis der verschreckt öffnete. Michael fragte nicht lange wie und warum, sondern baute sich in seiner ganzen Größe auf, schrie, fuchtelte mit den Armen, ging dabei Schritt für Schritt auf den armen Mann zu und drohte mit Polizei, Anwalt und Gericht. Wir haben nie wieder einen Ton der Mühle gehört, aber wir wurden auch nie wieder in diesem Haus gegrüßt. Michael war das vollkommen gleichgültig. Er hatte es
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