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Post Mortem

Post Mortem

Titel: Post Mortem
Autoren: Jonathan Kellerman
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1
    Patty Bigelow hasste Überraschungen und tat ihr Möglichstes, um sie zu vermeiden. Gott hatte andere Pläne.
    Pattys Vorstellung von einem höchsten Wesen schwankten zwischen einem Ho-Ho-Ho-Weihnachtsmann und einem Odin mit Feuer sprühenden Augen, der Blitze schleuderte.
    So oder so, ein weißbärtiger Typ, der in den Wolken kampierte. Der je nach Laune Süßigkeiten verteilte oder mit den Planeten Murmeln spielte.
    Falls man ihr die Pistole auf die Brust setzte, würde Patty sich als Agnostikerin bezeichnen. Aber wenn das Leben verrückt spielte, warum sollte sie es dann nicht wie alle anderen machen und einer höheren Macht die Schuld geben?
    In der Nacht, als Lydia sie überraschte, war Patty seit zwei Stunden zu Hause und versuchte, sich nach einem harten Tag in der Unfallstation zu entspannen. Mit einem Bier zu relaxen, dann mit noch einem, und als das nicht wirkte, indem sie dem DRANG nachgab.
    Zuerst brachte sie die Wohnung auf Vordermann, machte Sachen, die nicht nötig waren.
    Schließlich rückte sie dem Fugenkitt der Arbeitsplatte in der Küche mit einer Zahnbürste zuleibe, reinigte die Zahnbürste mit einer Drahtbürste, die sie unter heißem Wasser abspülte und sauber zupfte. Immer noch angespannt, sparte sie sich das Beste für den Schluss auf: das Arrangement ihrer Schuhe. Sie wischte jeden Halbschuh, jeden Sportschuh, jede Sandale mit einem Fensterleder sauber, sortierte sie nach Farben und sorgte dafür, dass alles genau in dem gleichen Winkel ausgerichtet war. Zeit für die Blusen und Pullover… die Türklingel ertönte.
    Zwanzig Minuten nach eins in Hollywood, wer zum Kuckuck würde da vorbeischauen?
    Patty wurde ärgerlich, dann nervös. Hätte die Knarre kaufen sollen. Sie nahm ein Tranchiermesser mit zur Tür und schaute für alle Fälle durch das Guckloch.
    Sah schwarzen Himmel, da draußen war niemand… ach doch.
    Als sie begriff, was Lydia getan hatte, stand sie da, zu verdattert, um irgendjemandem die Schuld zu geben.
    Lydia Bigelow Nardulli Soames Biefenbach war Pattys kleine Schwester, aber sie hatte eine Menge mehr Leben in ihre fünfunddreißig Jahre gequetscht, als Patty sich vor Augen halten wollte.
    Drop-out-Jahre, Groupie-Jahre, Bardamen-Jahre, auf-dem-Harley-Rücksitz-verbrachte-Jahre. Vegas, Miami, San Antonio, Fresno, Mexico, New Mexico, Wyoming, Montana. Keine Zeit für Postkarten oder Anrufe von Schwester zu Schwester - wenn Patty von Liddie hörte, ging es immer um Geld.
    Lydia war schnell bei der Hand mit Erklärungen, die Verhaftungen wären Kleinscheiß, keine Chance, dass da was nachkäme. Als Reaktion auf Pattys Schweigen, wenn sie per R-Gespräch aus irgendeinem Provinzgefängnis anrief und ihr Geld für die Kaution abschwatzte.
    Sie zahlte das Geld immer zurück, das musste Patty ihr lassen. Immer derselbe Zeitplan: sechs Monate später, auf den Tag genau.
    Liddie konnte sehr effizient sein, wenn sie wollte, aber nicht, wenn es um Männer ging. Vor, zwischen und nach den drei dummen Ehen gab es eine endlose Parade gepiercter, tätowierter Verlierer mit dreckigen Fingernägelnund leerem Blick, die Liddie unweigerlich ihre »Schätzchen« nannte.
    Trotz ihrer zahllosen Liebhaber wundersamerweise nur ein Kind.
    Vor drei Jahren hatte Liddie, allein in einem osteopathischen Krankenhaus außerhalb von Missoula, dreiundzwanzig Stunden gebraucht, um das Baby herauszupressen. Tanya Marie, zweitausendvierhundertachtunddreißig Gramm. Liddie schickte Patty ein Säuglingsfoto, und Patty schickte Geld. Die meisten Neugeborenen waren rot und affenähnlich, aber dieses Kind sah ziemlich süß aus. Zwei Jahre später tauchten Lydia und Tanya vor Pattys Tür auf, reingeschneit auf dem Weg nach Alaska.
    Keine Rede davon, warum es Juneau sein musste, ob sie da irgendwen trafen, ob Liddie clean war. Keine Andeutungen, wer der Vater war. Patty fragte sich, ob Lydia es überhaupt wusste.
    Patty konnte nichts mit Kindern anfangen, und als sie sah, wie das Kleinkind Liddies Hand festhielt, verkrampften sich ihre Halsmuskeln. Weil sie angesichts der Umstände mit einer wilden kleinen Göre rechnete. Ihre Nichte stellte sich als sanft und still heraus, irgendwie hübsch mit einem Flaum weißblonder Haare, forschenden grünen Augen, die zu einer Frau mittleren Alters gepasst hätten, und ruhelosen Händen.
    »Reinschneien« dehnte sich zu einem Aufenthalt von zehn Tagen. Patty gelangte schließlich zu der Überzeugung, dass Tanya wirklich süß und keine große Belästigung war, wenn man
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