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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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diesem Körnerfresser gezeigt, und jetzt war Ruhe.
    Keiner, erklärte er mir, würde ihm seine Rechte streitig machen. Ein Satz, an den ich noch oft denken sollte.
    Auf wen habe ich mich da nur eingelassen? fragte ich mich. Meine Mutter mochte ihn von Anfang an nicht. Sie verbot mir, Michael zu heiraten. Aber was verstand meine Mutter, die nach zwei gescheiterten Ehen nun einem inkontinenten Frührentner die Unterhosen wusch, schon von Männern? Ja, die Tatsache, daß sie Michael nicht leiden konnte, verstärkte in mir nur den Wunsch, mich an ihn zu binden. Natürlich kam Torschlußpanik hinzu. Ich war Mitte dreißig und dachte, es wäre höchste Zeit, endlich den Richtigen zu finden. Und es war ja nicht so, daß wir immer nur stritten. Michael war ein harter Brocken, aber er bot mir eine emotionale Sicherheit, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Ich war auf dem besten Wege zur Karrierefrau und wußte, daß ich nie Probleme haben würde, mein Leben finanziell zu managen. Aber genau dieses Wissen erzeugte in mir die Angst, daß ich vielleicht nur dazu geschaffen war, daß mein restliches Leben einzig aus Beruf, Pflichterfüllung, Leistung und Geldverdienen bestehen würde. Obwohl mein Erfolg mir Selbstvertrauen gab, fürchtete ich mich davor, mit fünfzig, umgeben von drei Katzen, allein vor dem Fernseher zu sitzen: einsam, ausgepowert und depressiv.
    Wir heirateten nach einem Jahr an einem kalten Apriltag. Es wurde eine absolut schreckliche Hochzeit. Michael war beleidigt, weil ich meinen Namen behielt. Die Saar führte Hochwasser, die Stadtautobahn war gesperrt, viele Gäste kamen zu spät zur Kirche. Vom Triller herab wehten die Regenschauer schräg gegen die Kirchentür. Meine Mutter hatte sich ein knallgrünes Kleid gekauft und passende Schuhe aus Schlangenlederimitat. Mit ihren kohlschwarz gefärbten Haaren und ihrem Silikonbusen sah sie aus wie eine Puffmutter, der man erzählt hat, die englische Königin käme zu Besuch. Mein Vater erschien im Cowboyanzug und brachte seine nunmehr grotesk fette Schönheitskönigin und meine Stiefgeschwister im Pick-up-Truck mit. Mein Bruder kam als letzter und mußte dreimal aus der Kirche hinausgehen, weil seine Gören keine fünf Minuten stillsitzen konnten. Daß wir überhaupt kirchlich heirateten, war ein Zugeständnis an Michaels Eltern, die damit gedroht hatten, ohne Gottes Segen der Hochzeit fernzubleiben. Ich war froh, als alles vorbei war. Die Hochzeitsreise fiel aus, weil Michael sich auf das Wirtschaftsprüferexamen vorbereite.
    Unser Leben veränderte sich durch unsere Heirat nur wenig. Michael bestand seine Prüfungen mit Bravour. Und er fing bald an, sich wie ein typischer Ehemann zu benehmen. Das bedeutete, daß er keinen Abend mehr vor acht Uhr zu Hause war, darauf vertraute, daß ich für einen vollen Kühlschrank und warmes Essen sorgte und Bad und Klo schön sauberhielt. Dazu war ich gerade noch bereit. Aber als er zunehmend mehr hausfrauliche Tugenden von mir verlangte und andeutete, daß wir doch ganz gut von seinem Gehalt allein leben könnten, war der Konflikt vorprogrammiert. Er wußte es nur noch nicht.

Kapitel 3              
    Die Nacht vom vierten auf den fünften Dezember 2002 wird stockdunkel sein, weil Neumond ist. Für Menschen, die glauben, daß die Mondphasen das Leben beeinflussen, ist Neumond die Zeit, in der die Kräfte unverbraucht und stark sind und das Leben sich erneuert. Aber wer, bis auf ein paar Vollidioten, glaubt schon, daß die Mondphasen unser Leben bestimmen? Nein, wenn den Tagen um Neumond eine besondere Bedeutung zukommt, dann liegt sie darin, daß in dieser Zeit mehr Menschen umgebracht werden als sonst. Aber das hat nichts mit heidnischen Ritualen, Zauber und Magie zu tun, sondern rührt allein daher, daß die Nacht des Neumonds die dunkelste des Monats ist.
    Der vierte Dezember des Jahres 2002 ist ein Donnerstag. Es ist der Tag, an dem Weigandt zu einer Reise von Saarbrücken nach Leipzig aufbricht. Ein kalter Nebel liegt am Morgen über den Niederungen der Saar. Er soll sich während des Vormittags auflösen, um einem Regen zu weichen, der laut Wetterbericht allmählich in Schnee übergehen wird. Erst am Wochenende ist mit Wetterbesserung zu rechnen, aber da wird Weigandt bereits wieder zurück sein. Für sein Vorhaben ist das Wetter genau richtig: Regen und Schnee werden die Spuren verwischen, es wird früh dunkel werden, und der Schnee wird die Geräusche schlucken.
    Er hat diese Reise zweimal in
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