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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Königs? Dies hier war natürlich nur der Vorraum; hier warteten die Leute auf eine Audienz. Im Palast gab es einen ähnlichen Saal; dorthin kamen die Bittsteller und warteten, wenn sie den König um eine Gunst bitten oder ihm ein Geschenk überbringen wollten. Kassandra überlegte, ob ER ein Schlafzimmer hatte, oder wo ER schlief und badete. Kassandra spähte in den großen dahinterliegenden Raum, in dem der Gott, wie sie vermutete, die Menschen empfing.
    Und ER befand sich tatsächlich dort. Die .Farben waren so lebensecht, daß Kassandra im ersten Augenblick nicht merkte, daß sie eine Statue sah. Es erschien ihr nur vernünftig, daß ein Gott etwas größer war, starr aufrecht stand und etwas abwesend, aber freundlich lächelte. Kassandra schlich sich hinein und lief bis zu den Füßen des Gottes. Sie glaubte, IHN wirklich sprechen zu hören; aber sie wußte, sie hörte nur eine Stimme in ihrem Kopf.
    » Kassandra «, sagte ER, und sie fand es ganz natürlich, daß ein Gott ihren Namen kannte, ohne daß man ihm den Namen genannt hatte. » Willst du meine Priesterin sein ?«
    Sie flüsterte, ohne zu wissen, ob sie laut sprach, und auch ohne darauf zu achten: »Möchtest du mich haben, Großer Apollon?«
    »Ja, ich habe dich gerufen« , sagte er. Er hatte eine herrliche, goldene Stimme, genau, wie sie sich die Stimme eines Gottes vorstellte. Man hatte ihr auch gesagt, daß der Sonnengott außerdem der Gott der Musik und des Gesangs war.
    »Aber ich bin nur ein kleines Mädchen, und noch nicht alt genug, das Haus meines Vaters zu verlassen«, flüsterte sie.
    »Trotzdem sollst du daran denken, wenn der Tag kommt, daß du  MIR  gehörst «, sagte die Stimme, und einen Augenblick lang wurden die goldenen Staubteilchen im schrägen Sonnenlicht zu einem einzigen großen Lichtstrahl, mit dem der Gott hinunterzugreifen und sie mit einer brennenden Geste zu berühren schien … dann war das Strahlen verschwunden, und Kassandra sah nur eine kalte reglose Statue vor sich, die überhaupt nicht dem Apollon glich, der zu ihr gesprochen hatte. Die Priesterin führte Hekabe jetzt vor die Statue, aber Kassandra zog an der Hand ihrer Mutter.
    »Es ist gut«, flüsterte sie eifrig, »der Gott hat mir gesagt, ER wird dir gewähren, was du dir wünschst. «
    Kassandra wußte nicht, wann sie das gehört hatte; sie wußte einfach, ihre Mutter würde einen Sohn bekommen, und wenn sie nun etwas wußte, was sie vorher nicht gewußt hatte, mußte es ihr der Gott gesagt haben. Und obwohl sie es nicht gehört hatte, wußte sie, daß sie die Wahrheit sagte.
    Hekabe sah sie zweifelnd an, ließ ihre Hand los und folgte der Priesterin in den inneren Raum. Kassandra sah sich um.
    Neben dem Altar stand ein kleines Weidenkörbchen. Kassandra warf einen Blick hinein und bemerkte eine leichte Bewegung. Zuerst glaubte sie, es seien Kätzchen und wunderte sich, denn Katzen wurden den Göttern nicht geopfert. Sie sah genauer hin und entdeckte zwei kleine zusammengerollte Schlangen im Körbchen. Schlangen gehörten dem Apollon der Unterwelt, das wußte sie. Ohne nachzudenken, griff sie in den Korb, nahm in jede Hand eine Schlange und hob sie an ihr Gesicht. Die Schlangen fühlten sich weich, warm und trocken an, und ihre Finger spürten kaum die Schuppen. Kassandra mußte die Schlangen einfach küssen. Sie fühlte sich seltsam hochgestimmt, und ihr war leicht übel; sie zitterte am ganzen Leib.
    Kassandra wußte nicht, wie lange sie mit den Schlangen dort kauerte, und sie hätte nicht sagen können, was die Schlangen ihr erzählten. Sie wußte nur, daß sie ihnen die ganze Zeit aufmerksam zuhörte.
    Plötzlich hörte sie einen ängstlichen, vorwurfsvollen Aufschrei: Sie erkannte die Stimme ihrer Mutter. Kassandra hob lächelnd den Kopf.
    »Es ist gut«, sagte sie und blickte in das besorgte Gesicht der Priesterin hinter Hekabe. »Der Gott hat mir gesagt, ich darf es.«
    »Leg sie schnell wieder zurück«, sagte die Priesterin, »du kannst nicht mit ihnen umgehen. Sie hätten dich sehr wohl auch beißen können. «
    Kassandra streichelte jede Schlange noch einmal und legte sie dann vorsichtig in das Weidenkörbchen zurück. Sie glaubte zu spüren, daß die Schlangen sich nur ungern von ihr trennten; deshalb beugte sie sich hinunter und versprach ihnen, bald wiederzukommen und mit ihnen zu spielen.
    »Du schlimmes, ungehorsames Mädchen«, rief Hekabe, als Kassandra sich erhob, und packte sie hart am Arm. Kassandra machte sich erschrocken los. Ihre Mutter
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