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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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später einmal Anführerin der Amazonen ihres Stammes werden können. »Aber vielleicht läßt es sich eines Tages einrichten. Bei meinem Stamm hat der Vater nur etwas zu sagen, wenn es um seine Söhne geht; die Mutter bestimmt das Schicksal einer Tochter. Du müßtest lernen zu reiten und zu kämpfen.«
    Hekabe griff nach der kleinen weichen Hand des Kindes und dachte, es sei wohl kaum die Hand einer Kriegerin.
    »Was für ein Tempel ist das - dort?« fragte Kassandra und deutete zur höchsten Terrasse über ihnen, auf der ein strahlend weißes Gebäude in der Sonne leuchtete. Kassandra lehnte an der Mauer, die sich als Schutz neben der gewundenen Treppe entlangzog, und konnte unten die Dächer des Palastes und die kleinen Gestalten der Frauen sehen, die Wäsche zum Trocknen ausbreiteten; sie sah die kleinen Bäume in Kübeln, die leuchtenden Farben ihrer Kleider und die Matten, auf denen sie in der Sonne ruhten. Ganz weit unten entdeckte sie die Stadtmauer über der Ebene.
    »Es ist der Tempel von Pallas Athene. Für das Volk deines Vaters ist sie die größte Göttin.«
    »Ist sie auch die Große Göttin, die du Erdmutter nennst?«
    »Alle Göttinnen sind eine Göttin, so wie alle Götter ein Gott sind. Aber sie zeigen sich den Menschen in den unterschiedlichen Städten und den jeweiligen Zeiten in verschiedenen Gestalten. Hier in Troia ist Pallas Athene die jungfräuliche Göttin, denn in ihrem Tempel hüten ihre Jungfrauen das größte Heiligtum unserer Stadt. Man nennt es das Palladium.« Hekabe brach ab, aber Kassandra witterte eine Geschichte und blieb mucksmäuschenstill. Hekabe sprach bedächtig weiter.
    »Man sagt, als die Göttin Athene jung war, hatte sie eine sterbliche Freundin, die libysche Jungfrau Pallas. Als Pallas starb, trauerte Athene so sehr um ihre Freundin, daß sie ihren Namen dem eigenen hinzufügte, und seit dieser Zeit kennt man sie als Pallas Athene. Sie schuf ein Bild ihrer Freundin und stellte es auf dem Olymp in den Tempel des Zeus. Damals war Erechtheos König von Kreta - er war einer der Vorväter deines Vaters, ehe sein Volk in diesen Teil der Welt kam. Erechtheos besaß eine große Herde von tausend schönen Rindern. Boreas, der Sohn des Nordwindes, liebte diese Rinder und kam als großer weißer Stier zu ihnen; und diese heiligen Stiere wurden die Stiergötter von Kreta.«
    »Ich habe nicht gewußt, daß die Könige von Kreta unsere Vorväter waren«, sagte Kassandra.
    »Es gibt vieles, was du nicht weißt«, sagte Hekabe tadelnd, und Kassandra hielt den Atem an. War ihre Mutter so verärgert, daß sie die Geschichte nicht zu Ende erzählen würde? Aber Hekabes Unmut schwand schnell, und sie sprach weiter.
    »Ilos, der Sohn des Erechtheos, kam an diese Küste und nahm an den heiligen Spielen teil. Er wurde Sieger der Spiele und erhielt als Preis fünfzig Jünglinge und fünfzig Jungfrauen. Aber er machte sie nicht zu Sklaven, sondern sagte: >Ich werde sie freilassen und mit ihnen eine Stadt gründen.< Nach dem Willen der Götter bestieg er ein Schiff; er opferte dem Nordwind, damit er ihn an den richtigen Platz für seine Stadt führen würde, die er Ilion nennen wollte - das ist ein anderer Name für Troia. «
    »Und hat der Nordwind ihn hierher gebracht?« fragte Kassandra. 

    »Nein, auf dem Meer brachte ihn ein Wirbelwind vom Kurs ab. Und als er in der Nähe der Mündung unseres heiligen Skamander ans Ufer getrieben wurde, schickten die Götter eine dieser Kühe, eine schöne Färse. Es war eine Tochter des Nordwindes. Und eine Stimme sprach zu Ilos: >Folge der Kuh! Folge der Kuh! Wo sie sich niederläßt, baue deine Stadt.< Sie sahen, daß die Kuh dorthin lief, wo der Skamander eine Biegung machte und sich niederlegte; und dort baute Ilos Troia. Eines Nachts hörte er wieder eine Stimme vom Himmel, die sagte: >Hüte das Bildnis, das ich dir gebe, denn solange Pallas in deiner Stadt weilt, wird sie nie fallen.< Er erwachte und sah das Bildnis der Pallas mit dem Spinnrocken in der einen und dem Speer in der anderen Hand, und es glich dem Bildnis der Athene. Als er mit dem Bau der Stadt begann, errichtete er als erstes diesen Tempel an der höchsten Stelle - dort oben - und weihte ihn Athene. Damals war sie eine ziemlich neue Erscheinung der Göttin, eine der Großen des Olymp, und wurde selbst von denen verehrt, die die Himmelsgötter und den Donnerer anbeten. Ilos machte sie zur Schutzherrin der Stadt. Pallas Athene brachte uns die Kunst des Webens bei und schenkte uns
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