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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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erscheint ein Mann, begleitet von einer Frau. Der Mann hat ein gelbes Notizbuch in der Hand und sagt: »Sind Sie Victor Mancini?«
    Die Frau sagt: »Das ist er.«
    Und der Mann hält das Notizbuch hoch und sagt: »G e hört das Ihnen?«
    Das ist meine vierte Stufe, geschrieben bei den Ther a piesitzungen für Sexsüchtige, die vollständige und schonungslose Bestandsaufnahme meiner Sucht. Das Tagebuch meines Sexuallebens. Mein Sündenregister.
    Und die Frau sagt: »Und?« Sie sagt zu dem Mann mit dem Notizbuch: »Dann nimm ihn fest.«
    Der Mann sagt: »Kennen Sie eine Bewohnerin des Pflegezentrums St. Anthony ’ s namens Eva Muehler?«
    Eva, das Eichhörnchen. Offenbar hat sie mich heute Morgen gesehen und denen erzählt, was ich getan habe. Ich habe meine Mutter getötet. Na schön, nicht meine Mutter. Diese alte Frau.
    Der Mann sagt: »Victor Mancini, ich verhafte Sie w e gen Verdachts auf Vergewaltigung.«
    Das Mädchen mit der Vergewaltigungsnummer. Offe n bar hat sie mich angezeigt. Das Mädchen mit dem r o sa Seidenbett, das ich ruiniert habe. Gwen.
    »He«, sage ich. »Sie wollte, dass ich sie vergewaltige. Das war ihre Idee.«
    Und die Frau sagt: »Er lügt. Er verleumdet meine Mu t ter.«
    Der Mann fängt an, mir meine Rechte zu erklären.
    Und ich sage: »Gwen ist Ihre Mutter?«
    Schon an ihrer Haut kann man erkennen, dass diese Frau zehn Jahre älter als Gwen ist.
    Heute hat anscheinend die ganze Welt Wahnvorste l lungen.
    Und die Frau schreit: »Eva Muehler ist meine Mutter! Und sie sagt, Sie haben ihr Gewalt angetan und ihr erzählt, das wäre alles ein Spiel, ein Geheimnis.«
    Verstehe. »Ach so«, sage ich. Ich sage: »Ich dachte, Sie reden von dieser anderen Vergewaltigung.«
    Der Mann unterbricht sich mitten in der Erklärung meiner Rechte und sagt: »Hören Sie mir überhaupt zu?«
    Das steht alles in dem gelben Notizbuch, sage ich. Was ich getan habe. Ich wollte bloß die Verantwortung für alle Sünden in der Welt auf mich nehmen. »Es ist nämlich so«, sage ich, »ich habe eine Zeit lang wir k lich geglaubt, dass ich Jesus Christus bin.«
    Der Mann zieht hinter dem Rücken ein Paar Han d schellen hervor.
    Die Frau sagt: »Ein Mann, der eine Neunzigjährige vergewaltigt, kann nur verrückt sein.«
    Ich ziehe eine angewiderte Grimasse und sage: »Aber ehrlich.«
    Und sie sagt: »Ach, wollen Sie etwa behaupten, dass meine Mutter nicht attraktiv ist?«
    Und der Mann legt mir die Handschellen an. Erst um eine Hand, dann dreht er mich um und klinkt mir die Hände auf dem Rücken zusammen. Er sagt: »Am be s ten gehen wir nach draußen und klären die Sache.«
    Vor all den Versagern des alten Dunsboro, vor den Drogensüchtigen und den verkrüppelten Hühnern und den Kindern, die sich einbilden, sie bekämen hier e t was beigebracht, vor den Augen Seiner Exzellenz Charlie, des Siedlungsgouverneurs, werde ich verha f tet. Es ist das Gleiche wie mit Denny, wenn er an den Pranger muss, nur dass es echt ist.
    Und irgendwie möchte ich allen hier sagen, sie sollten bloß nicht glauben, dass es ihnen besser ergehe.
    Hier lebt jeder wie im Gefängnis.

45
    Kurz bevor ich das St. Anthony ’ s zum letzten Mal ve r ließ, kurz bevor ich durch die Tür ins Freie rannte, ve r suchte Paige, mir alles zu erklären.
    Ja, sie sei Ärztin. Sie redete hastig, die Worte übe r schlugen sich. Ja, sie sei als Patientin hier eingeliefert worden. Sie klickte hektisch auf ihrem Kugelschreiber herum. Sie sei wirklich Fachärztin für Genetik, und man habe sie nur hier eingesperrt, weil sie die Wah r heit gesagt habe. Sie habe mir nicht wehtun wollen. Ihr Mund war noch mit Pudding beschmiert. Sie habe nur versucht, ihren Job zu tun.
    Wir standen das letzte Mal zusammen auf dem Korr i dor. Sie zog mich am Ärmel, sodass ich sie ansehen musste, und sagte: »Das musst du mir glauben.«
    Ihre Augen traten so weit hervor, dass rund um die Iris das Weiße zu sehen war. Ihr kleines schwarzes Hirn aus Haaren hatte sich halb aufgelöst.
    Sie sei Ärztin, sagte sie, Fachärztin für Genetik. Aus dem Jahr 2556. Sie sei in der Zeit zurückgereist, um sich von einem typischen Mann der hiesigen geschich t lichen Epoche schwängern zu lassen. Es gehe ihr um die Gewinnung und Dokumentierung einer genetischen Probe, sagte sie. Die Probe werde für die Bekämpfung einer Seuche gebraucht. Im Jahr 2556. Die Reise sei weder billig noch einfach. Im Jahr 2556 seien Zeitre i sen ähnlich aufwändig wie heutzutage die Raumfahrt, sagte sie. Ein
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