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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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Das Gesicht braun beschmiert, sieht sie zu mir auf und sagt: »Es gibt hier wohl ein kleines Miss v erständnis.«
    Und ich sage: »Ida Mancini, du bist gesund und mu n ter.«
    Paige beugt sich über das Bett und legt die Hände n e ben meine auf Mutters Brust. Dann drückt sie mit aller Kraft, immer und immer wieder. Herzmassage.
    Und ich sage: »Das ist doch nicht nötig.« Ich sage: »Ich bin doch Jesus Christus!«
    Und Paige flüstert: »Atmen Sie! Atmen, verdammt!«
    Und an Paiges Unterarm rutscht etwas herunter, das sie im Ärmel versteckt hatte: ein Plastikarmband, wie es die Patienten tragen. Es rutscht ihr auf die Hand.
    Im selben Augenblick hört alles auf: das Keuchen, das Strampeln, das Krallen und Stöhnen. Alles. Es hört einfach auf.
    »Witwer« ist nicht das richtige Wort, aber das erste, das mir dazu einfällt.

44
    Meine Mutter ist tot. Meine Mutter ist tot, und Paige ist eine Irre. Alles erfunden, was sie mir erzählt hat. Ei n schließlich der Idee, dass ich – ich wag ’ s kaum zu s a gen – Er bin. Einschließlich, dass sie mich liebt.
    Na schön, mich mag.
    Einschließlich, dass ich von Natur aus ein netter Mensch bin. Bin ich nicht.
    Und wenn Mutterschaft der neue Gott ist, das einzig Heilige, das wir noch haben: dann habe ich Gott get ö tet.
    Das ist ein jamais-vu. Dieser französische Ausdruck bezeichnet das Gegenteil von dejá-vu; egal, wie gut man irgendeinen Menschen zu kennen glaubt, er ist immer nur ein Fremder.
    Ich kann nur noch zur Arbeit gehen, im alten Dun s boro herumstolpern und im Geiste immer und immer wieder die Vergangenheit durchleben. Den Schokol a denpudding an meinen Fingern riechen. Ich bin in der Sekunde hängen geblieben, in der das Herz meiner Mutter zu schlagen aufhörte und das Plastikarmband um Paiges Handgelenk mir zuschrie, dass sie eine I n sassin war. Paige, nicht meine Mutter, hatte Wahnvo r stellungen.
    Ich hatte Wahnvorstellungen.
    In diesem Augenblick sah Paige von dem überall mit Schokolade beschmierten Bett auf. Sie sah mich an und sagte: »Hau ab. Geh. Verschwinde.«
    Siehe auch: »An der schönen blauen Donau.«
    Ich konnte nur das Armband anstarren.
    Paige kam ums Bett herum, packte mich am Arm und sagte: »Die sollen denken, dass ich das war.« Sie zerrte mich zur Tür und sagte: »Die sollen denken, dass sie das selbst getan hat.« Sie spähte auf den Korridor und sagte: »Ich wische deine Fingerabdrücke vom Löffel und schiebe ihn ihr in die Hand. Ich sage allen, dass du ihr den Pudding gestern gebracht hast.«
    Alle Türen, an denen wir vorbeigehen, schnappen zu. Das macht ihr Armband.
    Paige zeigt auf eine Tür, die nach draußen führt, und sagt, sie müsse jetzt zurückbleiben, sonst könne ich die Tür nicht öffnen.
    Sie sagt: »Du bist heute nicht hier gewesen. Kapiert?«
    Sie hat noch eine ganze Menge gesagt, aber das zählt alles nicht.
    Ich werde nicht geliebt. Ich bin keine schöne Seele. Ich bin kein guter, kein großmütiger Mensch. Ich bin kein Erlöser.
    Jetzt, da sie verrückt ist, ist das alles Quatsch.
    »Ich habe sie umgebracht«, sage ich.
    Die Frau, die da eben gestorben ist, die ich mit Sch o kolade erstickt habe, war nicht mal meine Mutter.
    »Es war ein Unfall«, sagt Paige.
    Und ich sage: »Wie kannst du das so genau wissen?«
    Als ich ins Freie trat, musste jemand die Leiche schon gefunden haben, weil hinter mir die Durchsage dröh n te: »Pfleger Remington nach Zimmer 158. Pfleger R e mington, bitte dringend nach Zimmer 158.«
    Ich bin nicht mal Italiener.
    Ich bin eine Waise.
    Ich stolpere im alten Dunsboro herum, zwischen ve r krüppelten Hühnern, drogensüchtigen Bürgern und Kindern auf Klassenfahrt, die glauben, dass dieser Mist tatsächlich etwas mit der echten Vergangenheit zu tun hat.
    Unmöglich, die Vergangenheit richtig zu begre i fen. Man kann so tun als ob. Man kann sich etwas einr e den, aber man kann nicht wieder beleben, was vo r bei ist.
    Der Pranger mitten auf dem Platz ist leer. Ursula führt eine Milchkuh an mir vorbei, beide riechen nach Dope. Auch die Augen der Kuh sind geweitet und blutunte r laufen.
    Hier ist immer derselbe Tag, jeden Tag, und das sollte doch irgendwie tröstlich sein. Genau wie diese Fer n sehserie, in der immer dieselben Leute seit dreißig Jahren auf einer menschenleeren Insel festsitzen und weder älter werden noch gerettet werden. Sie sind bloß immer stärker geschminkt.
    So lebst du bis ans Ende deiner Tage.
    Eine Horde Viertklässler rennt kreischend vorbei. Dann
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