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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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ungeliebt, schiebe ich mich durch die Meute auf Denny zu, der in der Mitte steht, und sage: »Mann.«
    Und Denny sagt: »Mann.« Er starrt in die Menge. Alle haben sie Steine in den Händen.
    Er sagt: »Großer Fehler, jetzt hier aufzutauchen.«
    Seit unserem Fernsehauftritt, sagt Denny, kommen hier unablässig freundliche Menschen an und bringen Steine. Schöne Steine. Unglaubliche Steine. Behau e nen Granit und Basaltquader. Geschliffene Sandstein-und Kalksteinblöcke. Andere wiederum bringen Mörtel und Schaufeln und Kellen mit.
    Und alle fragen sie: »Wo ist Victor?«
    Hier sind so viele Leute, dass man überhaupt nicht mehr zum Arbeiten kommt. Und alle wollten mir ihren Stein persönlich überreichen. All diese Männer und Frauen haben Denny und Beth immer wieder gefragt, ob es mir gut gehe.
    Sie sagen, im Fernsehen hätte ich wirklich furchtbar ausgesehen.
    Wenn jetzt auch nur einer anfängt, von seinen Helde n taten zu prahlen. Dass er ein Retter ist, dass er Victor in einem Restaurant das Leben gerettet hat.
    Mir das Leben gerettet hat.
    Der Ausdruck »Pulverfass« trifft es ziemlich genau.
    Irgendwo weiter hinten hat ein Held die Lawine ins Rollen gebracht. Selbst im Dunkeln sieht man die O f fenbarung durch die Menge laufen wie eine Welle. Die unsichtbare Grenze zwischen den Leuten, die noch lächeln, und denen, die es nicht mehr tun.
    Zwischen allen, die noch Helden sind, und denen, die schon die Wahrheit wissen.
    Und als schließlich alle ihrer stolzesten Tat beraubt sind, sehen sie einander an. Mit einem Schlag sind alle diese Leute von Rettern zu Trotteln geworden, und jetzt fangen sie an durchzudrehen.
    »Mann, du musst abhauen«, sagt Denny.
    Die Leute stehen so dicht gedrängt, dass man von Dennys Bauwerk nichts sehen mehr kann, weder Sä u len und Mauern noch Statuen und Treppen. Und j e mand schreit: »Wo ist Victor?«
    Und ein anderer schreit: »Wir wollen Victor Mancini!«
    Und selbstverständlich habe ich das verdient. Ein E r schießungskommando. Meine ganze allzu zahlreiche Familie.
    Jemand lässt die Scheinwerfer eines Autos aufleuc h ten, und ich stehe im grellen Licht an der Wand.
    Fürchterlich ragt mein Schatten über uns allen.
    Ich, der irre kleine Tölpel, der sich eingebildet hatte, man könne jemals genug verdienen, genug wissen, genug besitzen, schnell genug laufen, sich gut genug verstecken. Genug ficken.
    Zwischen mir und den Scheinwerfern hängen die U m risse von tausend gesichtslosen Leuten. Von all den Leuten, die geglaubt hatten, dass sie mich liebten. Die geglaubt hatten, dass sie meine Lebensretter waren. Die Legende ihres Lebens: verflogen. Dann h ebt sich eine Hand mit einem Stein, und ich schließe die A u gen.
    Da ich keine Luft bekomme, schwellen mir die Hal s adern. Mein Gesicht läuft rot an, heiß.
    Irgendwas knallt mir vor die Füße. Ein Stein. Und noch einer. Ein ganzes Dutzend. Hunderte. Ein Steinhagel, dass der Boden wackelt. Die Brocken fliegen mir um die Ohren. Alles schreit.
    Das Märtyrertum des heiligen Ich.
    Die Augen tränen mir, ich halte sie geschlossen und sehe das Licht rot durch die Lider scheinen, durch mein eigen Fleisch und Blut. Meinen Augensaft.
    Immer noch erschüttern Steine den Boden. Die Erde bebt. Die Leute brüllen vor Anstrengung. Der Hagel nimmt zu. Die Flüche werden lauter. Und plötzlich ist alles still.
    Ich sage zu Denny: »Mann.«
    Ich halte die Augen geschlossen, ich schniefe und s a ge: »Erzähl mir, was da vor sich geht.«
    Und ein weiches und nicht sehr sauber riechendes Tuch stülpt sich mir um die Nase, und Denny sagt: »Schnaub, Mann.«
    Und dann sind sie alle weg. Fast alle.
    Dennys Burg: die Mauern sind niedergerissen, die Steine zerschmettert und überall verstreut. Die Säulen sind umgekippt. Die Kolonnaden. Die Sockel gestürzt. Die Statuen zerschlagen. Steinbrocken und Mörtel fü l len die Höfe und Brunnen. Sogar die Bäume sind von den Steingeschossen zersplittert und zu Boden g e streckt worden. Die zerstörten Treppen führen ins Nichts.
    Beth sitzt auf einem Stein und betrachtet eine ze r trümmerte Statue, die Denny von ihr gemacht hatte. Nicht, wie sie wirklich aussah, sondern wie sie für ihn aussah. So schön, wie er sie sieht. Vollkommen. Und jetzt: zertrümmert.
    Ich sage: Erdbeben?
    Und Denny sagt: »So was Ähnliches. Nur eine andere Art höherer Gewalt.«
    Kein Stein mehr auf dem anderen.
    Denny schnieft und sagt: »Du riechst nach Scheiße, Mann.«
    Ich darf die Stadt bis auf weiteres nicht verlassen,
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