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Oberst Redl

Oberst Redl

Titel: Oberst Redl
Autoren: Leidinger Hannes
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Vorwort
    Von Ronge zu Redl
    »Oberst Redl, der höchste Spionagechef der österreichischen Armee, war gleichzeitig gekaufter Spion des russischen Generalstabs. Er hatte nicht nur die Geheimnisse und Aufmarschpläne verkauft, sondern nun wurde schlagartig verständlich, wieso im letzten Jahr alle von ihm gesandten österreichischen Spione in Russland regelmäßig verhaftet und verurteilt worden waren.« 1 Stefan Zweig, dessen Schilderung der Affäre Redl diese Zeilen entnommen sind, kannte den Obersten nur flüchtig. Man grüßte sich, mehr nicht. Im Mai 1913 aber, als Alfred Redl als Agent »feindlicher Mächte« entlarvt wurde, erschien der Mann, der wie ein »guter österreichischer Durchschnittsoffizier« aussah, in einem völlig neuen Licht. Zweig berichtet in seinen Erinnerungen an die »Welt von Gestern«, dass der Oberst aufgrund seiner homosexuellen Veranlagung erpresst worden war und so zum Verräter wurde. »Ein Schauer des Entsetzens ging durch die Armee. Alle wussten«, behauptet der Schriftsteller, »dass im Kriegsfall dieser eine Mensch das Leben von Hunderttausenden gekostet hätte und die Monarchie durch ihn an den Rand des Abgrunds geraten wäre; erst in dieser Stunde begriffen wir in Österreich, wie atemnahe wir im vergangenen Jahr dem Weltkrieg schon gewesen.« 2
    Damit verwies Stefan Zweig auf die Krisensituation 1912/13, als ein Eingreifen der k.u.k. Armee in den damaligen kriegerischen Konflikt am Balkan zur Disposition stand. Zweigs Darstellung ist im Übrigen symptomatisch für die Art und Weise, wie der Fall Redl gemeinhin abgehandelt wurde: Fakten und Fiktionen fließen ineinander, und die suggerierten Folgen des Verrats sind so ungeheuerlich, dass sie Zweifel hervorrufen müssen. Das Mythenpotenzial dieses Spionageskandals ist enorm.
    Als wir uns vor einigen Jahren mit der Biografie von Maximilian Ronge, dem letzten Geheimdienstchef der k.u.k. Monarchie, beschäftigten, streiften wir auch die Affäre rund um den Verrat desObersten Alfred Redl. Ronge kannte den später als »Jahrhundertspion« zu fragwürdiger Berühmtheit geratenen Generalstabsoffizier anders als Stefan Zweig aus nächster Nähe. Er hatte ihn als Leiter der Kundschaftsstelle im Evidenzbüro, dem militärischen Nachrichtendienst der österreichisch-ungarischen Armee, beerbt. Redl war Ronges »Lehrer« gewesen, eine Art Mentor, der den jungen Kollegen in das Metier der Spionage beziehungsweise der Spionageabwehr einführte. Mit umso größerer Erschütterung nahm der »Schüler« die Vergehen des Obersten zur Kenntnis. In der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1913 begegneten sich die beiden Männer ein letztes Mal. Jetzt überreichte Major Ronge seinem früheren Vorbild eine Schusswaffe. Kurz darauf nahm sich Alfred Redl das Leben. An dessen Todestag malte Max Ronge in sein Tagebuch hinter den Namen des Obersten ein dickes Kreuz. Er hatte es wohl mit Bedacht gezeichnet.
    Selbstverständlich durfte in der Biografie des Geheimdienstchefs ein Kapitel über seine Rolle im Fall Redl nicht fehlen. Immerhin war Ronge an der damals von der Armeeführung versuchten Vertuschung des Skandals beteiligt gewesen. Die Affäre allzu ausführlich darzustellen, hielten wir aber für überflüssig. Jeder, so unsere Überzeugung, wusste zumindest in Grundzügen über diese Geschichte Bescheid. Wer die einschlägige Literatur über den »Meisterspion« nicht kannte, der hatte zumindest einen der Redl-Filme gesehen. Indessen stellten wir fest, dass seit den 1980er Jahren, als der aufsehenerregende Skandal aus dem Jahr 1913 in Buch und Film von einem breiten Publikum wahrgenommen wurde, die Erinnerung an den Fall wieder verblasst ist. Jüngere Generationen kennen den Namen Redl am ehesten aus Kreuzworträtseln, in denen nach einem »berühmten österreichischen Spion« gesucht wird. Details und Hintergründe der Affäre sind hingegen kaum geläufig. Darüber hinaus stolperten wir selbst bereits 2007, als Maximilian Ronges Biografie unter dem Titel
Im Zentrum der Macht
erschien, über etliche Ungereimtheiten, welche alle verfügbaren Darstellungen des Falls Redl kennzeichneten. Wir beließen es mit dem Hinweis auf unser diesbezügliches Unbehagen bei einer Darstellung der Affäre, die sich aufausgewählte archivalische Quellen sowie verschiedene Memoiren stützte. Da wir aber auch in den folgenden Monaten im Zuge unserer Arbeiten über die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges immer wieder auf den Spionageskandal aus dem Jahr 1913 stießen, entwickelte
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