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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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sage ich. Die Polizei verlangt das von mir.
    Vor den Scheinwerfern sind nur noch die Konturen eines Menschen zu sehen. Eine verkrümmte schwarze Silhouette, bis das Auto losfährt und die Scheinwerfer abschwenken.
    Im Mondlicht versuchen wir, Denny und Beth und ich, zu erkennen, wer da noch ist.
    Es ist Paige Marshall. Der weiße Kittel schmutzig, die Ärmel hochgekrempelt. Das Plastikarmband an ihrem Handgelenk. Die Segelschuhe völlig durchnässt.
    Denny geht auf sie zu und sagt: »Tut mir Leid, aber es hat hier ein ungeheures Missverständnis gegeben.«
    Und ich sage zu ihm: Nein, schon gut. Es ist nicht so, wie er denkt.
    Paige tritt näher und sagt: »Tja, ich bin noch da.« Ihr schwarzes Haar ist aufgelöst, das kleine schwarze Hirn hängt in Strähnen. Ihre Augen sind verquollen und gerötet. Sie zuckt mit den Achseln, schnieft und sagt: »Das heißt dann wohl, dass ich wahnsinnig bin.«
    Wir sehen alle betreten die Steine an, bloß Steine, bloß irgendwelche braune Klumpen, nichts Besond e res.
    Eines meiner Hosenbeine ist feucht von Scheiße und klebt mir am Bein. Ich sage: »Tja.« Ich sage: »Das heißt dann wohl, dass ich niemanden erlösen kann.«
    »Na ja.« Paige hebt die Hand und sagt: »Meinst du, du kannst mir das Armband da abmachen?«
    Ich sage: Ja, können wir versuchen.
    Denny scharrt in den Steinen herum und schiebt sie mit dem Fuß hin und her; schließlich bückt er sich und hebt einen auf. Beth kommt ihm zu Hilfe.
    Paige und ich sehen uns nur an, das heißt: uns, wie wir wirklich sind. Zum ersten Mal.
    Wir können unser Leben damit verbringen, uns von der We l t erzählen zu lassen, wer wir sind. Normal oder wahnsinnig. Heilige oder Sexsüchtige. He l den oder Opfer. Uns von der Geschichte erzählen zu lassen, wie gut oder schlecht wir sind.
    Unsere Vergangenheit über unsere Zukunft entsche i den lassen.
    Wir können die Entscheidung aber auch selbst in die Hand nehmen.
    Und vielleicht ist es unsere Aufgabe, etwas Besseres zu erfinden.
    In den Bäumen ruft eine Trauertaube. Es muss Mitte r nacht sein.
    Und Denny sagt: »He, wir könnten was Hilfe gebra u chen.«
    Paige fängt an, und ich dann auch. Wir vier wühlen die Hände unter einen großen Stein. Im Dunkeln fühlt er sich rau und kalt an, und es dauert eine Ewigkeit, bis wir ihn, wir alle vier zusammen, auf einen anderen Stein gewuchtet haben.
    »Kennst du die Geschichte von dem Mädchen im alten Griechenland?«, sagt Paige.
    Die den Umriss ihres verlorenen Geliebten gezeichnet hat?, sage ich. Ja.
    Und sie sagt: »Dann weißt du ja, dass sie ihn schlie ß lich vergessen und dafür die Tapete erfunden hat.«
    Es ist unheimlich, aber wir sind jetzt die Pilgerväter, die Spinner unserer Zeit, die ihre eigene alternative Realität verwirklichen wollen. Eine Welt aus Steinen und Chaos erbauen.
    Was daraus werden soll, weiß ich nicht.
    Nach all dieser Hetzerei sind wir in tiefer Nacht am Arsch der Welt gelandet.
    Vielleicht ist Wissen ja gar nicht das Entscheidende.
    Wo wir jetzt stehen, im Dunkeln zwischen Ruinen, könnte aus unserem Bau alles Mögliche werden.

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