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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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    Wenn du das hier lesen willst, spar dir die Mühe.
    Nach ein paar Seiten wirst du nur noch weglaufen wo l len. Also vergiss es. Geh. Verschwinde, solange du noch kannst.
    Rette dich.
    Im Fernsehen läuft bestimmt was Besseres. Oder vie l leicht solltest du, wenn du schon so viel Zeit übrig hast, zur Abendschule gehen. Arzt werden. Du kön n test etwas aus dir machen. Gönn dir einen Resta u rantbesuch. Färb dir die Haare.
    Du wirst schließlich auch nicht jünger.
    Was sich hier abspielt, wird dich erst einmal ankotzen. Und von da an wird es immer nur noch schlimmer.
    Das hier ist eine dämliche Geschichte über einen dummen kleinen Jungen. Eine dämliche Geschichte aus dem wahren Leben über jemanden, den du b e stimmt nicht kennen lernen möchtest. Stell dir diesen kleinen Spasti mal vor: ein Dreikäsehoch mit einer Hand voll blondem Haar, das zum Seitenscheitel g e striegelt ist. Stell ihn dir vor, diesen widerlichen kle i nen Scheißer, wie er dich von alten Schulfotos a n grinst, ein paar Milchzähne fehlen, die ersten richtigen Zähne stehen schief. Stell ihn dir vor, mit seinem dämlichen blau-gelb gestreiften Pullover, den er zum Geburtstag bekommen hat und der sein Lieblingspu l lover war. Er ist zwar noch so jung, aber stell dir vor, wie er an seinen idiotischen Fingernägeln kaut. Seine Lieblingsschuhe sind Keds. Sein Lieblingsessen sind Hotdogs.
    Stell dir einen unterbelichteten kleinen Jungen vor, der nach dem Abendessen mit seiner Mami unangeschnallt in einem geklauten Schulbus fährt. Und weil vor ihrem Motel ein Streifenwagen steht, brettert die Mutter ei n fach mit hundert Sachen daran vorbei.
    Es geht hier um einen dämlichen kleinen Fiesling, der garantiert der dämlichste kleine Scheißkerl und die vertrotteltste Heulsuse aller Zeiten war.
    Der kleine Wichser.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagt die Mutter, und sie fahren eine schmale Straße rauf, bergauf, die Hinte r reifen schlittern auf dem Eis hin und her. Im Schei n werferlicht wirkt der Schnee ganz blau und breitet sich vom Straßenrand bis zum dunklen Wald aus.
    Stell dir vor, das ist alles seine Schuld. Der kleine Saftsack.
    Die Mutter bringt den Bus nicht weit vor einer Fel s wand zum Stehen, sodass die Scheinwerfer das weiße Gestein anstrahlen. »Bis hierhin und nicht weiter«, sagt sie. Die Worte dampfen ihr als weiße Wolken aus dem Mund und zeigen, wie groß ihre Lunge drinnen sein muss.
    Die Mutter zieht die Handbremse an und sagt: »Du darfst aussteigen, aber lass den Mantel im Bus.«
    Sieh dir den dämlichen Zwerg an, der sich von seiner Mami da draußen vor den Schulbus stellen lässt. Da steht dieser miese kleine Benedict Arnold nun, starrt in das grelle Scheinwerferlicht und lässt sich von der Mutter den Lieblingspullover über den Kopf ziehen. Halb nackt steht dieser mickrige kleine Schreihals im Schnee, das Dröhnen des Busmotors hallt von der Felswand wider, und die Mutter verschwindet irgendwo hinter ihm in Nacht und Kälte. Die Scheinwerfer ble n den ihn, der Lärm des Motors überdeckt das Knarren der Bäume, die sich im Wind aneinander reiben. Es ist so kalt, dass man immer nur häppchenweise atmen kann, und so versucht dieser schleimige Zellhaufen, doppelt so schnell zu atmen wie sonst.
    Er läuft nicht fort. Er tut gar nichts.
    Irgendwo hinter ihm sagt die Mutter: »Tu, was du willst, aber dreh dich nicht um.«
    Die Mutter erzählt ihm von einem schönen Mädchen im alten Griechenland, der Tochter eines Töpfers.
    Wie jedes Mal, wenn sie aus dem Gefängnis kommt und ihn wieder zu sich nimmt, haben das Kind und die Mutter jede Nacht in einem anderen Motel verbracht. Sie essen immer nur Fastfood und sind immer nur unterwegs. Heute Mittag hat sich der Junge seinen noch viel zu heißen Hotdog in den Rachen geschoben und versucht, ihn am Stück runterzuwürgen, aber der Klumpen blieb stecken, und weil der Junge keine Luft mehr bekam, ist die Mutter aufgesprungen und um den Tisch rum zu ihm gerannt.
    Dann schlangen sich von hinten zwei Arme um ihn herum, hoben ihn in die Luft, und die Mutter flüsterte: »Atme! Du sollst atmen, verdammt!«
    Danach weinte das Kind, und alle Leute im Restaurant drängten sich heran.
    In diesem Augenblick sah es aus, als ob die ganze Welt sich um ihn kümmerte. Alle diese Leute umar m ten ihn und tätschelten ihm den Kopf. Alle fragten, ob wieder alles in Ordnung mit ihm sei.
    Dieser Augenblick war ihm wie eine Ewigkeit vorg e kommen. Dass man sein Leben riskieren musste, um geliebt zu
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