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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant
Autoren: Chuck Palahniuk
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nicht, und ich frage ihn auch nicht, was aus se i ner Arbeit wird, nachdem sie in den Äther gegangen ist. Sie verschwindet. Wird gesendet. Verdampft. Wird ausradiert. In einer Welt, in der wir auf Papier arbe i ten, in der wir an Maschinen turnen, in der wir Zeit und Mühe und Geld aufwenden und kaum etwas dafür bekommen, wirkt jemand wie Denny, der Steine z u sammenkleistert, fast schon normal.
    Das alles sage ich dem Reporter nicht.
    Ich winke in die Kamera und sage, wir brauchen mehr Steine. Wir wären dankbar, wenn die Leute uns Steine bringen würden. Es wäre großartig, wenn die Leute uns helfen wollten. Die Haare kleben mir dunkel ve r schwitzt am Kopf, der aufgedunsene Bauch quillt mir aus der Hose, und ich sage, das Einzige, was wir nicht wissen, ist, was dabei herauskommen wird. Und mehr noch: Wir wollen es nicht wissen.
    Beth geht in die Kochnische und macht Popcorn.
    Ich sterbe vor Hunger, traue mich aber nicht, etwas zu essen.
    Die Schlusseinstellung zeigt Mauern, die Fundamente für eine Loggia, deren Säulen eines Tages die Decke tragen werden. Sockel für Statuen. Eines Tages. B e cken für Springbrunnen. Grundmauern, die Stützpfe i ler, Giebel, Türmchen und Kuppeln andeuten. Bogen, die eines Tages Gewölbe tragen werden. Türme. Eines Tages. Schon wachsen Büsche und Bäume hinein und begraben manches unter sich. Äste schieben sich in die Fenster. In manchen Räumen wächst hüfthoch Gras und Unkraut. Die Kamera zieht auf, und das Ganze wird als bloßes Fundament erkennbar, dessen Vollendung wahrscheinlich niemand von uns erleben wird.
    Das sage ich dem Reporter nicht.
    Von außerhalb des Bildes hört man den Kameramann rufen: »He, Victor! Erinnern Sie sich an mich? Aus dem Chez Buffet ? Damals, als Sie beinahe erstickt sind … «
    Das Telefon klingelt, und Beth geht ran.
    »Mann«, sagt Denny und spult das Band wieder z u rück. »Was du denen da erzählt hast, wird manche Leute ganz schön in Rage bringen.«
    Und Beth sagt: »Victor, das Krankenhaus, in dem de i ne Mutter liegt. Man sucht schon überall nach dir.«
    Ich schreie zurück: »Komme gleich.«
    Ich sage Denny, er soll das Band noch einmal spielen. Jetzt bin ich fast so weit, es mit meiner Mutter aufz u nehmen.

43
    Für mein nächstes Wunder kaufe ich Pudding. Schok o ladenpudding, Vanille-und Pistazienpudding, Kar a mellpudding. Kleine Plastikbecher, gefüllt mit Fett und Zucker und Konservierungsstoffen. Man reißt den D e ckel ab und löffelt das Zeug raus.
    Konservierungsstoffe, so was braucht sie jetzt. Je mehr Konservierungsstoffe, stelle ich mir vor, desto besser.
    Eine ganze Einkaufstüte voll Pudding im Arm, gehe ich zum St. Anthony ’ s.
    Es ist so früh, dass die Empfangsschwester noch nicht auf ihrem Posten ist.
    Eingesunken auf dem Bett, sieht meine Mutter aus dem Inneren ihrer Augen zu mir auf und sagt: »Wer?«
    Ich bin ’ s, sage ich.
    Und sie sagt: »Victor? Bist du das?«
    Und ich sage: »Ja, ich glaub schon.«
    Paige ist nicht da. Niemand ist so früh am Samsta g morgen da. Eben fallen die ersten Sonnenstrahlen durch die Jalousie. Sogar der Fernseher im Tagesraum ist still. Mrs. Novak, die Auszieherin, die Zimmerg e nossin meiner Mutter, liegt zusammengerollt im Bett nebenan und schläft. Deshalb flüstere ich.
    Ich nehme den ersten Becher Schokoladenpudding, pule den Deckel ab und fische einen Plastiklöffel aus der Einkaufstüte. Ich ziehe einen Stuhl ans Bett, hebe den ersten Löffel Pudding und sage: »Ich bin hier, um dich zu erretten.«
    Ich sage, dass ich endlich die Wahrheit über mich e r fahren habe. Dass ich als guter Mensch auf die Welt gekommen bin. Als Manifestation vollkommener Liebe. Dass ich wieder gut sein kann, aber mit ganz kleinen Schritten anfangen muss. Der Löffel gleitet zwischen ihre Lippen. Die ersten fünfzig Kalorien sind drin.
    Beim nächsten Löffel sage ich: »Ich weiß, was du hast tun müssen, um mich zu bekommen.«
    Der Pudding liegt braun und glänzend auf ihrer Zunge. Sie schiebt ihn sich unter hektischem Blinzeln in die Backe, damit sie sprechen kann. Sie sagt: »Ach, Vi c tor, du weißt Bescheid?«
    Ich befördere ihr die nächsten fünfzig Kalorien in den Mund und sage: »Das braucht dir nicht peinlich zu sein. Schluck einfach.«
    Den Mund voller Pampe, sagt sie: »Ich muss immer daran denken, wie schrecklich das ist, was ich getan habe.«
    »Du hast mir das Leben geschenkt«, sage ich.
    Sie wendet sich ab, von der nächsten Ladung Pudding, von mir. Sie sagt: »Ich
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