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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen
Autoren: Boris Koch
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Prolog
    Niederbachingen, August 1986
    Der Grashüpfer sprang davon, bevor er Feuer fing. Alex hatte es ja gleich gesagt, doch Jochen und Franz hatten ihm die Brille abgenommen und versucht, die Sonnenstrahlen mit dem dickeren, linken Glas so zu bündeln, dass Flammen entstanden. Im Fernsehen ließen sich so Lagerfeuer entzünden, zumindest Heu oder Stroh. Doch der Grashüpfer hatte nicht einmal zu rauchen begonnen.
    »Nimm den braunen Hüpfer da drüben, der ist bestimmt trockener als der grüne von eben«, schlug Jochen vor.
    Im Kreis knieten sie sich um das Insekt.
    Alex kniff die kurzsichtigen Augen zusammen, um besser zu sehen. Das Gras kitzelte an seinen nackten  Beinen, die bloßen Fußsohlen waren dunkel vor Erde. Ganz langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, beugte er sich vor. Die Sonne brannte auf seinen Nacken und die Schultern herab, und er spürte, wie ihm der Schweiß aus den Poren trat.
    Nach dem Mittagessen hatte seine Mutter ihn trotz aller Proteste mit Sonnencreme eingerieben. Mit Lichtschutzfaktor zwölf! Sonst nahm er höchstens vier, wenn überhaupt, das fand er männlicher. Old Shatterhand und Huck Finn hatten schließlich gar keine Sonnencreme benutzt; Helden hatten sowieso immer sonnengebräunte und wettergegerbte Gesichter. So ein bisschen Sonnenbrand tat doch nicht weh. Außerdem gefiel es ihm, wenn sich die Haut schälte - dann versuchte er immer, mit Zeigefinger und Daumen ein möglichst großes Stück abzuziehen, ohne dass es zerriss. Die verbrannte Haut war ganz weiß und so faszinierend dünn. Vielleicht hatte seine Mutter beim Eincremen ja eine Stelle übersehen, dachte er hoffnungsvoll.
    Keiner der drei Jungen sprach ein Wort, sie atmeten sogar kaum, um den Grashüpfer bloß nicht zu vertreiben. Franz’ ausgestreckte Hand mit den dicken Fingern und den abgekauten Fingernägeln zitterte nicht, und das helle Licht spiegelte sich in den ungeputzten Gläsern.
    Alex konnte nicht genau erkennen, ob die Sonnenstrahlen wirklich exakt auf dem Grashüpfer gebündelt wurden, aber er war sicher, dass Franz genau darauf achtete. Der kräftige Junge mit den kurzen blonden Haaren, den ständig zerkratzten Beinen und der großen Nase fixierte das Insekt so konzentriert, als könne er es allein mit seinem Blick entzünden. Sein Mund stand leicht offen, die Zungenspitze zeigte sich im linken Mundwinkel.
    Sekunden verrannen, in der Ferne tuckerte ein Traktor, um sie herum zirpten Grillen und brummten Käfer. Eine Bremse setzte sich auf Alex’ Schulter, und er versuchte, sie lautlos wegzuwünschen; bewegen durfte er sich jetzt nicht.
    Der Grashüpfer sprang mit einem weiten Satz zwischen Franz und Jochen hindurch und davon. Sofort schlug Alex die Bremse tot; deren Stiche brannten höllisch. Hoffentlich hatte er sie noch rechtzeitig erwischt.
    »Dem ist sicher zu heiß geworden«, sagte Franz, und Jochen nickte.
    »Wahrscheinlich hat er die Flammen schon züngeln gespürt. Wir müssten die Viecher irgendwie anketten«, grinste er, und seine unruhigen braunen Augen huschten hin und her. Er war schmächtig und sein Körper voller Leberflecken, die wirren dunklen Haare fielen ihm tief in Stirn und Nacken. Zwischen den oberen Schneidezähnen zeigte sich eine breite Lücke, durch die er oft die Melodien verschiedener Fernsehserien pfiff, allerdings nur selten erkennbar. Grinsend fragte er Alex: »Meinst du, Grashüpfer können Sonnenbrand kriegen? Dann ist der heute Abend krebsrot und kann als Glühwürmchen arbeiten!«
    Lachend erhoben sie sich, und Alex schüttelte den Kopf. »Die kriegen keinen Sonnenbrand, die haben doch gar keine Haut.«
    »Aber lustig wär’s«, sagte Jochen.
    Alle drei hatten ihre T-Shirts ausgezogen und in den Bund der Turnhosen gestopft. 33 Grad im Schatten, und die Sommerferien hatten gerade erst begonnen. Fünfeinhalb Wochen Freiheit lagen noch vor ihnen, bevor sich ihre schulischen Wege trennen würden. Alex würde ab September auf das fünfzehn Kilometer entfernte Gymnasium gehen, Jochen und Franz - wie die meisten aus ihrer Klasse - zunächst weiter auf die Schule im benachbarten Oberbachingen. Teilhauptschule bis zur sechsten Klasse. Doch andere Schule hin oder her, ihre Freundschaft würde bleiben, das hatten sie sich geschworen. Schließlich hatte es sie bislang auch nicht gestört, was Alex’ Eltern von Jochens hielten und umgekehrt.
    »Lasst uns zum Goldbach gehen«, schlug Franz vor und gab Alex die Brille zurück. »Es klappt einfach nicht.«
    »Ich hätte
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