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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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    1
     
     
     
    Die Wahrheit
siegt. Ja. Und die Wahrheit ist, dass Judith sich unter einem Lebensbund etwas
anderes als Valentin vorstellte. Etwas Greifbareres. Etwas, das mit dem Zählen
des Kleinviehs und dem Überprüfen der Mehlvorräte zu tun hatte, mit Fahrereien
und Bestellungen, Laufereien und Käufen, mit dem Beschaffen von Weidenruten zum
Fischeräuchern und Lärchenholz zum Backofenheizen. Ein Lebensbund, so Judiths
Vorstellung damals, ging auf jeden Fall mit viel Arbeit einher. Mit dem Einzug
zusätzlicher Knechte und Mägde. Mit dem Mieten eines Saales, dem Scheuern der
Treppen, dem Putzen der Fenster. Plätze wurden gebraucht für Wagen und Pferde.
Gästelisten mussten aufgestellt werden, Einladungen geschrieben, Geschenke
bestimmt. Voller Unbehagen dachte Judith, während sie mit der Feder ihre Listen
auf- und niederfuhr, hier noch einen Titel ergänzte, da noch eine Anschrift
nachtrug, an all die Hemden, die noch genäht, Pantoffeln, die noch bestickt,
Schnupftücher, die noch gesäumt, Kragen und Manschetten, die noch gestärkt und
gebleicht werden mussten, verpackt, verschnürt, versiegelt, beschriftet und
rechtzeitig mit den Einladungen auf den Weg gebracht.
    Da eine
Brautmutter fehlte, hatte sie das meiste allein schaffen müssen. Zwar stand ihr
beim Errechnen des zu erwartenden Zuckerverbrauchs ihre zukünftige
Schwiegermutter zur Seite. Zwar beaufsichtigte der rothaarige Simon, damals
noch jung und erst seit Kurzem ihr Hausknecht, das Verglasen der Fenster und
das Decken des Stalldachs. Auch brachte sie die Bestellungen von Kochzucker,
Streuzucker, Korianderzucker, Stangenzimt, Bruchzimt und Safran nicht selbst
zur Apotheke, sondern schickte ihre alte Kinderfrau dorthin. Aber Elsbeth
vergaß immer, dass Judith kein kleines Mädchen mehr war. Elsbeth, obwohl schon
seit sechsundzwanzig Jahren in Pritzwalk, sprach immer noch Schlesisch, sagte
statt Pfingstrosen Pumpelrosen und statt Maiglöckchen Springauf. Und mit Safran
backen wollte Elsbeth nun auch nicht. Ihr Kuchen werde von Eiern gelb und nicht
von dieser Schönfärberei. Ihr Kuchen gehe ehrlich in den heißen Ofen, und zwar,
solange sie lebe!
    Na wunderbar.
Finster blickte Judith in das alte Gesicht. Und wie lange lebte dieses
Bremsklötzchen noch?
    Judith strich
den Safran von ihrer Liste und schickte Simon zur Apotheke. Judith bestimmte,
welche der Konfirmandinnen, die sich im Hof unter dem Nussbaum versammelt
hatten, zum Girlandenflechten genommen wurden. Judith entschied, wie viele
Brote die frommen Beginen bekamen und wie viel Suppe man kochte zum Speisen der
Armen. Als Elsbeth klagend hereinkam, sie finde keinen Leinsamen mehr, man
brauche doch welchen für Juditheis Kränzel, stand sie schon zum sechsten Mal im
Brautkleid, während vor ihr ein verzweifelter Schneider kniete. Links steckte
die Magd Ulla ihren Kopf durch den Türspalt. Ob die Fleischer, die das Kalb nun
ausgenommen hätten, gleich dort auf der Tenne frühstücken sollten oder in der
Küche oder wo sonst. Rechts, aus der Bibliothek, nahte ihr Vater und hielt ein
schlecht aufgeschnittenes Buch in der Hand. Wozu er eigentlich das Papiermesser
schärfe, wenn seine Tochter dann doch die Haarnadel nehme.
    Und wie das
nun aussehe. Sie solle sich’s ansehn: Als sei man mit der Säge über das Buch
hergefallen!
    Und zwischen
den Leinsamen für den Brautkranz, die Glück bringen sollten, und den Fleischern
auf der Tenne, die frühstücken wollten, musste Judith ihren Vater
beschwichtigen, sich vor dem Schneider drehen, ans Brotbacken, die Musikanten
und den Torweg denken, den man geschlossen halten musste, oder den Hund an die
Kette legen, wenn so viele fremde Leute da waren, und auch noch Kuller, den
Kater, aus der Truhe mit den Tischdecken jagen. »Elsbeth! Hab ich nicht gesagt:
Die Truhe bleibt zu!«
    »Nu, doa kann
iech mer ooch keene Decke nich nahm!«
    Es war kein
Wunder, dass ihr der Geduldsfaden riss.
    Eines Morgens, nachdem der
Brotteig in den Trögen die ganze Nacht lang gegangen war, aber nun die Sonne
nicht schien, als der Teig schon zu Laiben geformt auf mit weißen Tüchern
bedeckten Brettern im Hof lag, aber die Sonne noch immer nicht schien, und als
Simon, der den Backofen schon angeheizt hatte, zu ihr in die Küche kam mit der
Meldung: »Jungfer Judith, die Sonne scheint nicht«, hieb sie einen eisernen
Topf mit solcher Wucht auf den Herd, dass oben Funken stoben und unten das
Feuerloch aufsprang. Jetzt reiche es aber! Jetzt habe sie aber genug! Mit Furz
und
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