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Der Herzog und seine geliebte Feindin

Der Herzog und seine geliebte Feindin

Titel: Der Herzog und seine geliebte Feindin
Autoren: Courtney Milan
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Kapitel Eins

    Leicester, November 1863
    R OBERT B LAISDELL, DER NEUNTE D UKE OF C LERMONT, versteckte sich nicht.
    Es stimmte, er hatte sich in die Bibliothek im ersten Stock des alten Zunfthauses zurückgezogen, weit genug von der Menge entfernt, dass der Lärm der Versammlung zu einem leisen Summen verblasst war. Es stimmte, außer ihm war niemand hier. Und es stimmte ebenfalls, dass er hinter dicken Vorhängen aus blaugrauem Samt stand, die ihn verdeckten. Er hatte auch das schwere Sofa aus braunem Leder verrücken müssen, um hierher zu gelangen.
    Aber er hatte das alles nicht getan, um sich zu verstecken, sondern weil – und das war das Hauptargument seiner reichlich fadenscheinigen Logik – sich in diesem jahrhundertealten Bauwerk aus Mörtel, Putz und Holzbalken nur ein Fensterflügel öffnen ließ, und das war ausgerechnet der hinter dem Sofa.
    Daher stand er nun hier, den Zigarillo in der Hand, während der Rauch in die kühle Herbstluft aufstieg. Er versteckte sich nicht; es ging einfach darum, die wertvollen alten Bücher vor Rauch zu bewahren.
    Er hätte das vielleicht sogar selbst glauben können, wenn er denn tatsächlich geraucht hätte. Aber er hatte den Zigarillo nur angesteckt, ohne tatsächlich daran zu ziehen.
    Durch die welligen alten Glasscheiben konnte er die nachgedunkelten Steine der Kirche direkt gegenüber sehen. Das Licht der Straßenlaternen malte stille Schatten auf das Pflaster unten. Ein Stapel Flugblätter war früher gegen die Türen gelehnt gewesen, aber die Herbstböen hatten sie aufgewirbelt und auf der Straße verteilt, in Pfützen geweht.
    Er machte alles nur schlimmer. Ein verdammtes Schlamassel. Er lächelte und tippte in der Fensteröffnung auf die Spitze seines unbenutzten Zigarillos, sodass die Asche nach unten auf die Pflastersteine fiel.
    Das leise Quietschen einer sich öffnenden Tür riss ihn aus seiner Versunkenheit. Er wandte sich vom Fenster ab, als er dazu auch das Knarzen von Bodendielen hörte. Jemand war die Treppe hochgekommen und hatte den angrenzenden Raum betreten. Die Schritte waren leicht – die einer Frau vielleicht oder eines Kindes. Sie klangen zudem seltsam zögernd. Die meisten Leute, die während eines Musikalischen Abends in die Bibliothek kamen, hatten dafür einen Grund. Ein geheimes Rendezvous vielleicht oder die Suche nach einem Familienmitglied.
    Von seinem Platz hinter den Vorhängen konnte Robert nur einen kleinen Ausschnitt der Bibliothek sehen. Wer auch immer die Person war, sie kam näher, stockte jedoch immer wieder. Sie befand sich außerhalb seines Sichtfeldes – irgendwie war er sich sicher, dass es eine Frau war – aber er konnte ihre leisen Schritte hören und wie sie immer wieder stehen blieb, um ihre Umgebung zu mustern.
    Sie rief keinen Namen und schien auch nichts Bestimmtes zu suchen. Es klang nicht so, als wolle sie sich mit einem Liebhaber treffen. Stattdessen blieb sie in der Mitte des Raumes, ging dort um etwas herum.
    Robert benötigte eine halbe Minute, um zu begreifen, dass er zu lange gewartet hatte, sich zu zeigen. „Ha“, stellte er sich vor zu rufen und hinter den Vorhängen hervorzuspringen. „Ich habe gerade die Stuckverzierung bewundert. Die ist hier erstaunlich kunstvoll aufgetragen, wissen Sie?“
    Sie würde ihn für verrückt halten. Und dabei war bislang noch niemand zu diesem Schluss gekommen. So ließ er seinen Zigarillo aus dem Fenster fallen. Trudelnd fiel er zu Boden, und die glühende Spitze leuchtete orange, bis er zischend in einer Pfütze landete und erlosch.
    Alles, was er von dem Raum sehen konnte, war ein halbes Regal voller Bücher, die Rückseite des Sofas und einen Tisch daneben, auf dem ein Schachspiel aufgebaut war. Das Spiel war nicht zu Ende. Anhand des wenigen, was er noch über die Regeln wusste, sah es so aus, als gewönne Schwarz. Die Unbekannte kam näher, und Robert presste sich mit dem Rücken gegen das Fenster.
    Sie trat in sein Sichtfeld.
    Sie war keine der jungen Damen, die er vorhin in dem überfüllten Saal unten gesehen hatte. Das waren alles echte Schönheiten gewesen, die hofften, ihm aufzufallen. Und sie – wer auch immer sie nun sein mochte – war keine Schönheit. Ihr dunkles Haar hatte sie zu einem strengen Knoten im Nacken aufgesteckt. Ihre Lippen waren schmal und ihre Nase spitz und außerdem ein bisschen zu lang. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit elfenbeinfarbenen Paspeln, ohne Spitze, ohne Bänder, einfach nur Stoff. Selbst der Schnitt ihres Kleides war
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