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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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beiden zumeist nicht recht bewusst, wie froh sie waren.
    Aber Madeleine und ich hatten uns nicht nur der Kinder wegen wieder versöhnt. Maddy meinte, ihr sei klar geworden, dass ich »das Licht ihres Lebens« sei. Im ersten Augenblick hatte mich ihre romantische Anwandlung etwas verblüfft, doch dann setzte sie hinzu: »Na schön, das Licht flackert in letzter Zeit ein bisschen, die Sicherung brennt dauernd durch, und die Glühbirnen geben alle fünf Minuten den Geist auf, aber ehrlich gesagt, habe ich im Augenblick nicht die geringste Lust, mir eine neue Lampe anzuschaffen.« Womit sie vermutlich sagen wollte, dass sich Beziehungen entwickeln, dass es in jeder Ehe Höhen und Tiefen gibt, dass man seine Träume und Erwartungen bisweilen etwas zurückschrauben muss und niemals den Fehler begehen darf, den anderen als selbstverständlich hinzunehmen. Solange man sich bemüht, die Dinge gelegentlich aus der Sicht seiner Partnerin zu betrachten, und daran denkt, ihr zum Scheidungstag einen Strauß Blumen mitzubringen, kann eigentlich nichts schiefgehen.
    Obwohl unsere Kinder einen glücklichen und zufriedenen Eindruck machten, stellte ich mir immer wieder die quälende Frage, wie sehr die Scheidung ihnen zugesetzt hatte. Sämtliche Erziehungsratgeber wiesen ausdrücklich darauf hin, dass Kinder in aller Regel dazu neigen, sich die Schuld zu geben, wenn sich die Eltern trennen. Auch wenn ihre Hofschranzen sie pausenlos des Gegenteils versicherten, sagte Königin Elisabeth I. sich vermutlich immer wieder: »Dad hätte Mum bestimmt nicht köpfen lassen, wenn ich ein Junge geworden wäre …« Meine größte Sorge war, wie Jamie auf die Familienzusammenführung reagieren würde. Ich hatte seinen Wutausbruch im Schwimmbad keineswegs vergessen, ebenso wenig wie den hasserfüllten Blick, den er mir zugeworfen hatte, als seine Mutter bei unserer ironisch gemeinten Scheidungsparty unter Tränen von der Bühne gestürmt war.
    Es gelang mir, Jamie dazu zu bewegen, Woody und mich in den Park zu begleiten, was mir Gelegenheit gab, mit meinem halbwüchsigen Sohn ein Gespräch von Mann zu Mann zu führen.
    »Ich garantiere dir, dass es nie mehr so sein wird wie früher«, sagte ich mit einem entschuldigenden Unterton in der Stimme.
    »Das kannst du mir nicht garantieren«, mahnte er wie ein gestrenger Vater.
    »Aber ich kann dir garantieren, dass ich mich verändert habe.«
    »Wir werden sehen«, sagte Jamie wie alle Erwachsenen, die sich nicht festlegen wollen. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinanderher, und ich machte mir schon Sorgen, dass mein Sohn mir das prägende Trauma seiner Pubertät sein Lebtag nicht verzeihen würde. Da plötzlich sagte er wie aus heiterem Himmel: »Dafür brauchen wir diesen Wichser Ralph jetzt nicht mehr zu ertragen.«
    »Jamie! Wie kannst du es wagen, im Beisein deines Vaters so ein Wort in den Mund zu nehmen?«
    »Welches, ›Ralph‹?«
    »Genau …«
    In der Ferne schnaufte und knatterte ein Traktor, und der herrliche Duft frisch gemähten Grases mischte sich mit dem Rauch von Holzkohlengrills, während die ersten Picknicker ihre Köstlichkeiten auf dem riesigen grünen Tischtuch des Parks ausbreiteten. Da erspähten wir Maddy und Dillie, die auf uns zugeradelt kamen. Meine Tochter war völlig aus der Puste, und die körperliche Anstrengung und die Freude über ihre kleine Überraschung hatten einen Hauch von Rosa auf ihre Wangen gezaubert.
    »Was haltet ihr davon, wenn wir unten am Orchesterpavillon ein Eis essen?«
    »Prima Idee! Bringt mir einen Kaffee mit!«, rief ich ihnen nach, als sie mit dem Hund im Schlepptau davonfuhren.
    »Ich will kein Eis. Kann ich stattdessen einfach nur das Geld haben?«, fragte Jamie, was die allgemeine Harmonie ein wenig störte.
    Es war eine ganz normale Szene: Eine Familie sitzt in einem Londoner Parkcafé, die Kinder löffeln den Schokoladenschaum vom Kaffee ihrer Eltern und naschen gegenseitig von ihrem Eis. Doch während wir so plauderten und lachten, fühlte ich mich plötzlich seltsam entrückt und losgelöst wie ein Ethnologe oder Laborforscher, der dieses erstaunliche Szenario heimlich beobachtete. Zum Glück hatte diese Familie keinen Schimmer, wie kostbar dieser Augenblick war, wusste sie nichts von der flüchtigen Vergänglichkeit menschlichen Glücks. Dies war vielleicht der schönste Moment, der uns je vergönnt sein würde. Wenn ich eines Tages darauf zurückblickte, würde ich mir womöglich eingestehen müssen, dass wir nie wieder so glücklich
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